Das Massaker von Ruanda literarisch verarbeitet

Die Optimisten

Knapp und eindringlich erzählt Andrew Millers Roman von einem Mann, der das Massaker in Ruanda mit eigenen Augen gesehen hat. Das Gesehene lässt ihn nicht mehr los. Poetische Gefühlsbeschreibungen wechseln mit detaillierten Momentaufnahmen.

Als die grausamen Nachrichten vom Völkermord in Ruanda um die Welt gingen, hatte Andrew Miller nicht vor, sie in einer Geschichte zu verarbeiten, doch die Tatsache, dass dabei auch Frauen und Kinder mit Macheten abgeschlachtet wurden, ließ ihn nicht mehr los. Der Autor wurde von den Bildern aus Ruanda regelrecht verfolgt, sagt er. Seine eigenen Albträume gab Andrew Miller an seinen Protagonisten Clem Glass weiter.

Unauslöschliche Eindrücke

Der junge Fotoreporter Clem Glass kehrt nach einer mehrwöchigen Reportage in Ruanda nach London zurück, wo ihn das Gesehene nicht mehr los lässt. Wie ein Getriebener läuft er durch die Straßen, trinkt zu viel und meidet seine Mitmenschen. Plötzlich meldet sich sein Vater, der in einer klosterähnlichen Gemeinschaft lebt, und bittet ihn, sich um die Schwester zu kümmern. Clare, eine Kunsthistorikerin mittleren Alters, leidet unter schweren Depressionen.

Zunächst ist Clem ratlos, doch dann nimmt er seine Schwester mit zu Verwandten aufs Land, und mit Hilfe kleiner Rituale und viel Fürsorge bessert sich ihr Zustand. Da erfährt Clem, dass sich der Anstifter des von ihm fotografierten Massakers in Brüssel aufhalten soll, und sein eigener Zustand rückt wieder in den Vordergrund.

Blick durch die Kameralinse

Der Versuch zu verdrängen, die Zerrissenheit und das Verlorensein wirken authentisch und nachvollziehbar und machen Clem Glass trotz seiner negativen Eigenschaften zu einer Figur, die man lieb gewinnt. Andrew Millers feines Gespür für seine Hauptfigur kommt nicht von ungefähr: Sein Bruder ist Fotojournalist und somit hatte Miller einen guten Einblick in die Sprache und in die Welt von Kriegskorrespondenten.

Nachdem in Andrew Millers letztem Buch "Zehn oder fünfzehn der glücklichsten Momente des Lebens" das Atmen im Vordergrund stand, ist in seinem neuen Roman das Auge das dominierende Organ. Clem Glass betrachtet durch die Linse seiner Kamera die Gräuel der Welt, seine Schwester Clare schaut hauptberuflich auf Kunstwerke und die blinde, bereits verstorbene Mutter, blickte als Aktivistin Zeit ihres Lebens in die Zukunft.

Schauen ohne vom Gesehenen berührt zu werden - ist das überhaupt möglich? Diese Frage steht beim Lesen immer wieder im Raum. Andrew Miller meint, dass der Voyeurismus, mit dem wir uns tagtäglich die Gräuel der Welt durch die Medien anschauen, etwas Arrogantes hat, und dass es uns alle, genauso wie Clem Glass, irgendwann einholen wird.

Passt in keine Schublade

Das Reizvolle an "Die Optimisten" ist, dass das Grauen zwar immer zwischen den Zeilen mitschwingt, die Geschichte jedoch fast vollständig ohne Beschreibungen der Gräueltaten auskommt. So ist einzig auf vier Seiten, die der Autor nur auf Wunsch seiner Lektoren nachträglich eingefügt hat, nachzulesen, was Clem Glass in Ruanda tatsächlich gesehen hat.

Andrew Miller ist niemand, den man, wie Journalisten es gerne tun, einfach in eine Schublade stecken kann - weder was sein abwechslungsreiches Leben, noch was sein Oeuvre betrifft. Nach seinem erfolgreichen Debüt, dem Historienroman "Die Gabe des Schmerzes", hat er die Geschichte von Casanova neu verarbeitet und sich dann in seinem dritten Roman auf die Gegenwart konzentriert.

Authentisch und glaubwürdig

Egal ob Historien- oder Gegenwartsroman, Andrew Millers unverkennbarer Stil ist in all seinen Büchern zu finden. Sympathischer Plauderton wechselt mit poetischen Gefühlsbeschreibungen und detaillierten Momentaufnahmen. Letztere kommen in "Die Optimisten" vor allem in den Hauptpassagen im englischen Provinznest, in dem Clem und Clare den Sommer verbringen, zum Ausdruck.

Der kurze Teil gegen Schluss, in dem der Fotograf nach Brüssel reist, um den Urheber des ruandischen Massakers zu finden, wirkt im Gegenzug dazu etwas zu konstruiert und aufgesetzt. Diese Tatsache führt schlussendlich wieder zurück zum Sehen, das in "Die Optimisten" eine wesentliche Rolle spielt. Die Annahme, dass Autoren über das, was sie mit eigenen Augen gesehen haben, am besten schreiben können, trifft auf Andrew Millers vierten Roman definitiv zu.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Andrew Miller, "Die Optimisten", Zsolnay Verlag, ISBN 978-3552054011