Das Mädchen aus dem Straußenei
Private Entwicklungshilfe
Vor 23 Jahren hatte das Ehepaar Meissl ein Mann in schlechtem englisch auf einer ihrer zahlreichen Reisen durch Afrika gebeten, seinem Volk zu helfen und eine Schule zu bauen. "Sie haben sich uns ausgesucht", meint Brigitte Meissl rückblickend.
8. April 2017, 21:58
Sie leben in der Nähe des heißesten Punktes der Erde, am Ufer des Lake Turkana. Seine österreichischen Entdecker nannten ihn Ende des 19. Jahrhunderts nach ihrem Kronprinzen "Rudolfsee". Das Wasser ist salz- und sodahältig und deshalb zum Trinken und für die Landwirtschaft ungeeignet.
Das Gebiet der El Molo besteht aus Lavagestein und Wüste. Es gibt keinen Humus, keinen Sand. Die jährliche Regenmenge ist verschwindend gering. Es ist unmöglich, Ackerbau zu betreiben. Es gibt nur ein paar Schirmakazien und Dornbüsche. So ist auch die Beschaffung von Feuerholz ein Problem. Die El Molo ernähren sich hauptsächlich von Fisch, und auch von Krokodilfleisch.
Liebe zu Afrika
Die Liebe von Wilhelm und Brigitte Meissel zu Afrika ist "fast so alt wie sie selbst": "Schon als kleiner Bub habe ich mir in der Bibliothek vor allem Bücher über Afrika ausgeborgt", erzählt der pensionierte Bibliothekar und Schriftsteller aus Wien. "Es war mein größter Traum, einmal selbst nach Afrika zu reisen!"
1974 waren er und seine aus Berlin stammende Frau Brigitte zum ersten Mal in Afrika. "Ein positiver Schock", erinnert sich der heute über 80-Jährige. Seither war er unzählige Male im geliebten "schwarzen Kontinent".
Die Wohnung des Ehepaares Meissel im 14. Wiener Gemeindebezirk spiegelt ihre Liebe zu Afrika wider: An den Wänden hängen afrikanische Bilder und zahlreiche Fotografien, die im Lauf der vielen Jahre entstanden sind; Spazierstöcke mit kunstvoll gearbeiteten Griffen lehnen im Vorzimmer, in jedem Raum hängen, liegen und stehen geschnitzte Masken und Figuren sowie Trommeln und andere Musikinstrumente.
Ihr Anblick hat den oftmals ausgezeichnete Kinderbuch- und Romanautor Wilhelm Meissel immer wieder inspiriert. "Das Mädchen aus dem Straußenei", eine Sammlung afrikanischer Märchen und Sagen, ist sein jüngstes Buch. Wilhelm Meissel hat zugehört und sie aufgeschrieben. In Afrika werden sie von Märchenerzählern erzählt und so von Generation zu Generation weitergegeben.
Eine Schule für die "El Molo"
Die Geschichte von der eigenen Schule für die El Molos ist wahr geworden, denn zurück in Wien haben die beiden Afrika- und Menschenfreunde damals, vor 23 Jahren, begonnen, Geld "für die Krokodilfresser" zu sammeln.
Zunächst wurde ein Schulhaus gebaut. Zum Schlafen mussten die Kinder abends die Schulbänke in die Wüste stellen und auf dem Betonboden ihrer Klassenräume schlafen. Derzeit werden 320 Schulkinder unterrichtet. Dazu gibt es einen Kindergarten mit 174 Kindern. Zuletzt wurden "Dormitories", Schlafhäuser, für die Buben und Mädchen errichtet, um ihnen den oft weiten Schulweg zu ersparen. Seit einigen Jahren erhalten Schüler und Lehrer auch täglich eine warme Mahlzeit, zum Beispiel Maisbrei mit Bohnen. Die Küche besteht aus einem Sonnendach und zwei Kesseln. Umgerührt wird mit langen Stöcken.
Lohnender Einsatz
Gerne zeigen Brigitte und Wilhelm Meissel Fotos von "ihren El Molo": von Kindern mit blitzenden weißen Zähnen und alten Frauen mit unendlich vielen Falten, prachtvoll geschmückt mit mehreren Halsreifen aus bunten Perlen und grossen Ohrringen. Fotos von jungen Männern in kurzen Hosen und T-Shirts mit lehmverschmierten Händen. Ein Foto von Brigitte Meissel inmitten einer strahlenden kindlichen Schülerschar.
Mindestens einmal im Jahr besuchen die Meissels "ihre El Molos". Meist im Herbst, wenn das Fliegen nicht so teuer und die Hitze halbwegs erträglich ist. Im vergangenen Jahr flog Brigitte Meissel erstmals allein und berichtete ihrem 84-jährigen Mann über die Neuerungen am Lake Turkana.
Hör-Tipp
Tao, Montag, 9. April 2006, 19:05 Uhr
Buch-Tipp
Wilhelm Meissel, "Das Mädchen aus dem Straußenei", Bibliothek der Provinz, ISBN 3852527244