Meisterwerk der barocken Klangrede

Die Johannes-Passion

Die Johannes-Passion ist Johann Sebastian Bach mit besonderem Ehrgeiz angegangen. Philipp Herreweghe wählte für seine Interpretation die vierte Fassung des Meisterwerks. Das Werk zeigt Bach als Meister der weit entwickelten barocken Klangrede.

"Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine"

Bachs erste Fassung der Johannes-Passion entstand 1724, als er sich von seiner Position am Hof von Köthen aus um jene Stelle des Leipziger Thomas-Kantors bewarb, die hinfort ein unzertrennlicher Begriff mit seinem Namen werden wollte.

Es mögen zeitliche Engpässe ihn gehindert haben, für sein Werk insgesamt - sowie speziell für die über den Evangelienbericht hinausgehenden Texte - einen eigenen Librettisten heranzuziehen. Unbestreitbar dürfte sein, dass er sowohl im Blick auf die Leipziger Tradition des Karfreitagsgottesdienstes wie auch zur Darstellung seiner kompositorischen Fähigkeiten das Werk mit besonderem Ehrgeiz angegangen ist.

Evangeliumstext blieb unangetastet

Leipziger Tradition war es, dass der eigentliche Text des Evangeliums unangetastet blieb. Er durfte also nicht wie andernorts erweitert oder etwa poetisch paraphrasiert werden.

Im Vordergrund stand vielmehr sein vertieftes Verständnis und seine Deutung, abgesehen von der zentralen Predigt zwischen den beiden Oratorienteilen. Mit den Aussagen der Choralstrophen konnte sich die Gottesdienstgemeinde in andächtiger Ergriffenheit identifizieren.

Konzise Kompositionsstruktur

So ergab sich der Aufbau von Bachs Kompositionsstruktur zum einen aus den fünf Stationen von Christi Leidensweg, die seinerzeit mit je einem knappen lateinischen Begriff bezeichnet wurden: Hortus, Pontifices, Pilatus, Crux und Sepulcrum, die also im ersten Teil seines Werkes die Szenen der Gefangennahme im Garten Gethsemane und die Überstellung an die Hohenpriester umfassten, im zweiten Teil die Einschaltung des römischen Statthalter Pontius Pilatus, die Kreuzigung und die Bestattung.

Zum anderen ergaben sich für Bach aus Stoff, Tradition und seinem persönlichen Verständnis heraus vier musikalische Darstellungsebenen: die der rezitativisch gestalteten Berichterstattung; die der in Arien und Ariosi wie in Teilpredigten eingefangenen deutenden Betrachtungen; die der choralartigen Spiegelung der das Erlebte aufnehmenden Gottesdienstgemeinde; und, über die Tradition hinausgehend, die des in rahmenden Chorsätzen beschriebenen Sinns der neuerlichen Vergegenwärtigung von Christi Leiden in der Sicht des Evangelisten Johannes.

Viele Ausrufe der Volksmenge

Rein äußerlich betrachtet, treten in der von Philipp Herreweghe gewählten vierten Fassung, - abgesehen von den beiden rahmenden Chorsätzen -, acht Arien, zwei Ariosi und elf Choralstrophen neben die Erzählung des Evangelisten, die ungewöhnlich viele Turbachöre und direkte Rede mit einschließt.

Wobei Bach zum einen zur ursprünglichen Struktur seiner ersten Fassung zurückgekehrt ist, insbesondere auf drei die zweite Fassung von 1725 anreichernde dramatische Arien verzichtet hat, zum andren sich jetzt für 1749 im Wesentlichen auf eine subtile Erweiterung der instrumentalen Begleitung konzentrierte.

Dramatische Spannung

Man mag bedauern, dass die in den üblicherweise aufgeführten Mischfassungen mitberücksichtigten dramatischen Arien der zweiten Bearbeitung in der vierten und letzten Fassung weggefallen sind, an dramatischer Spannkraft gebricht es dieser deswegen weder insgesamt noch in der Ausgestaltung von Einzelheiten, die Bach als souveränen Meister der inzwischen weit entwickelten barocken Klangrede ausweist.

Man denke nur an die Worte des Evangelisten über Petri bitterliches Weinen nach der Verleugnung Christi, diese lang gezogene Melodielinie voll schmerzlicher Halbtonschritte und verminderter Sprünge; oder an die Chorfuge der vor Pilatus argumentierenden Christusgegner, wo bei der Rechtfertigung ihrer Anklage - "Wäre dieser nicht ein Übeltäter" - der Eindruck entsteht, als wolle einer den anderen an Überzeugungsarbeit übertreffen; oder an das Arioso mit zwei Violen d’amore und Laute, wo der Kontrast von Christi duldsamer Liebe und den ihn stechenden Dornen durch die Art der Instrumentalbegleitung geradezu griffig sinnfällig wird.

Herreweghes Sänger-Ideal

Philipp Herreweghe erklärte einmal, für die Musik von Bach sei es sein Ideal, dass das Maximum der Musikalität von den Sängern selbst komme, dass sie spontan aufeinander reagieren und sich mitreißen können.

Herreweghe arbeitet übrigens in seiner Interpretation der Johannes-Passion mit der Idealbesetzung von 22 Instrumentalisten (15 Streicher, 5 Bläser, Laute und Orgel) und ebenso vielen Vokalisten (6 Solisten und 16 Ripienisten).

Hör-Tipp
Aus dem Konzertsaal, Freitag, 6. April 2007, 19:30 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Links
Wikipedia - Johann Sebastian Bach
University of Alberta - Text der Johannes-Passion