Zufällige Konstellationen und Kontinuität

Aus 30 und einer Nacht

An dreißig aufeinander folgenden Abenden trat das Trio Koch-Schütz-Studer auf. Der ungewöhnliche Marathon hat sicher auch die Musik der Schweizer Musiker beeinflusst. Aber auch die Zusammenarbeit mit dem Poeten Christian Uetz veränderte deren Musik.

Koch-Schütz-Studer und Christia Uetz

Für die meisten improvisierenden Musiker ist es beklagenswert, dass ihre Auftritte kaum kontinuierlich erfolgen. Festival-Termine, saisonale Gewohnheiten des Publikums, auf welche Veranstalter Bezug nehmen, und die unmöglichsten Gründe führen dazu, dass der Kalender der Musiker oftmals nur eine zufällige Konstellation ihrer Konzerte darstellt.

Projekte, die ihnen selbst wichtig erscheinen, müssen dann den Terminen angepasst werden.

30 Abende ohne Vorgaben

Drei Musiker in der Schweiz erhielten die schier unglaubliche Möglichkeit, an dreißig aufeinender folgenden Abenden zu spielen, und zwar einfach wie es ihrer jeweiligen Befindlichkeit entsprach - ohne Vorgaben, ohne programmatischen Ablauf.

Ort der Handlung ist die "Schlosserei 12" in der Pfingstweidstraße in Zürich, wo von 1. bis 30. September des Jahres 2005 drei Musiker allabendlich jeweils zwei Sets spielen. Sie haben carte blanche, völlige Freiheit, jeden Abend musikalisch so zu gestalten wie sie möchten - was sie meist zu völlig freier Improvisation nutzen.

Musiker garantieren Überraschungen

Die Namen der drei Musiker sind dennoch wie ein Programm - oder besser gesagt: Diese Namen garantieren Überraschungen - ein Nicht-Programm eben: Hans Koch spielt diverse Saxofone, Bassklarinette und elektronische Geräte, Martin Schütz, der vor allem ein elektrisches Violoncello spielt, bedient ebenfalls elektrische Klangerzeuger, und Fredy Studer ist ein Schlagzeuger, der teils sehr konzentriert, aber zum anderen auch aus seiner emotionalen Körperhaltung die perkussiven Klänge aus seinen Bewegungen heraus entstehen lässt.

Auch wenn es dreißig Abende mit zahlreichen Stücken waren, so war es für die Musiker doch eine Kontinuität, die nur beinahe zufällig durch Pausen zwischen den Stücken oder von einem Tag auf den anderen unterbrochen wurde.

Auf DVD dokumentiert

"Hardcore Chambermusic", ein 70-minütiger Film von Peter Liechti dokumentiert den Konzert-Marathon von Koch-Schütz-Studer. Im August 2006 fand die Premiere am Filmfestival in Locarno statt. Demnächst wird eine DVD erhältlich sein.

Das Trio Koch-Schütz-Studer brachte sein erstes Album im Jahre 1995 unter der Brand Mark "Hardcore Chambemusic" heraus. Dann folgten Aufnahmen mit dem ägyptischen Ensemble "Nil Troop" und mit kubanischen Musikern (das Album "Fidel") und mit New Yorker DJs ("Roots and Wires").

Spezieller Stil der Improvisation

Aber die drei Musiker haben ihren ganz eigenen Stil der Improvisation bewahrt. Der Saxofonist Hans Koch und der Cellist Martin Schütz haben ihr Klangspektrum zwar durch elektronische Hilfsmittel erweitert, ohne dass man dabei eine Veränderung der spezifischen Merkmale des Trios feststellen kann.

Musikalische Formen werden angespielt, zerlegt und neu zusammengefügt. Es ist ein ständiger Diskurs über die Sinnhaltigkeit in der Musik unserer Zeit.

Im Anfang war das Wort

Dazu kamen dann die Wort-Kaskaden des Christian Uetz, der im Herbst des Jahres 2000 erstmals seine Stimme in Begleitung des Trios Koch-Schütz-Studer erhoben hat. Damals, im Zürcher "Schiffbau", wirbelte Christia Uetz über die Bühne, während im Hintergrund Hans Koch seine Saxophone und die Bassklarinette, Martin Schütz das Violoncello und Fredy Studer das Schlagzeug spielten.

"Ich spinn glücklich" rief Uetz in den Saal und Koch, Schütz und Studer übersetzten seine Worte in Töne, gaben ihnen klanglich neue Bedeutung, oszillierten die Klangvorstellungen zum jeweiligen literarischen Bild, decollagierten sie und setzten sie transformiert neu zusammen.

Und das Wort wurde gejandelt

In Christian Uetz haben die drei Musiker Koch, Schütz und Studer einen "agent provocateur" gefunden. Der Sprachfantast häutet die Worte, enthauptet ihre Bedeutung, wankt auf dem Grat der Lautmalerei, von dem er abstürzend Wehklag schreit.

Der Schweizer Dichter, der in Berlin lebt, schafft seine Prosa aus dem Sprechen. Deshalb war es fast selbstverständlich, diese Beziehung mit Koch-Schütz-Studer aufzunehmen. Mit den Versuchen "Jazz & Lyrik" zu verbinden, wie es Joachim-Ernst Behrendt anstrebte, hat das nichts gemein.

Biblische Bilder und Metaphern

Der 1963 in Egnach in Thurgau geborene Christian Uetz ist ein Wort-Künstler, der biblische Bilder und Metaphern wie von Celan und Hölderlin scheinbar improvisiert und dabei einen seiner Meister zitiert, wenn er sagt: "Und das Wort wurde unter uns gejandelt".

Christian Uetz formulierte: "Mit dem Wort stehen die Menschen am Anfang der Welterkenntnis und sie bleiben stehen, wenn sie beim Wort bleiben. Wer weiter schreiten will, muss sich vom Wort befreien und vom Wortaberglauben, der muss seine Welt von der Tyrannei der Sprache zu erlösen versuchen." Christian Uetz versucht dies, indem er eine Suada ergießt, ausgehend von jedem Wort, das für sich alleine eine oder mehrere Bedeutungen hat.

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Freitag, 6. April 2007, 23:05 Uhr

Links
Koch-Schütz-Studer
Fredy Studer
Intakt Records