Kurskorrektur in der Geschichte der Medienkunst

IMA Fiction

Seit zwei Jahren setzt sich das Institut für Medienarchäologie, kurz IMA, für eine vermehrte Sichtbarkeit der Arbeit von Medienkünstlerinnen und Musikerinnen ein. Nun wurde die DVD Porträt-Serie IMA Fiction ins Leben gerufen.

Ausschnitt aus "Moscva" von Rebekah Wilson

Nach wie vor ist es für Künstlerinnen und Musikerinnen ungleich schwieriger, in den Bereich der öffentlichen Wahrnehmung vorzudringen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Geschichtsschreibung eben nach wie vor in mehrheitlich männlicher Hand liegt und es auch nach wie vor mehrheitlich Männer sind, die in den Schaltzentralen der Repräsentationsmaschinerien sitzen, um etwa Festivals zu kuratieren oder Labels zu leiten.

Vor rund zwei Jahren ist Elisabeth Schimana angetreten, um sich diesem Herrschaftsungleichgewicht entgegenzustemmen. Gemeinsam mit Andrea Sodomka gründete sie das IMA, das Institut für Medienarchäologie, um die verschüttete Geschichte der Medienkunst von Frauen Schicht für Schicht freizulegen und auch um dafür zu sorgen, dass die jetzt aktiven Künstlerinnen und Musikerinnen einen angemessenen Platz in der Medienkunstgeschichte bekommen.

Unlängst sind die ersten beiden DVDs in der neu gegründeten Portrait-Serie IMA Fiction erschienen. Die ersten beiden portraitierten Künstlerinnen sind Liesl Ujvary und Rebekah Wilson.

Cyborg Liesl Ujvary

Das Portrait von Liesl Ujvary hat Martin Breindl angefertigt, in Form eines kleinen Filmes mit ausführlichem Interview, stellt es gewissermaßen das Herzstück der DVD dar, um das sich dann Bilder, Texte und Musik ranken. "Wenn die Autorin Liesl Ujvary Musik und Bilder produziert", so Breindl, "spielt sie 'kontrollierte Spiele', indem sie die zahlreichen (Klang- und Bild-)Objekte, die sie um sich herum versammelt hat, von einem (möglichen) Seinszustand in einen anderen (ebenfalls möglichen) Seinszustand transformiert."

Diese Transformationen könne sie deshalb anstellen, weil sie ausschließlich an der virtuellen Maschine arbeitet, deren integrativer Bestandteil sie selber als Cyborg geworden ist.

Die Frau hinter Netochka Nezvanova

Ein kleiner Film, in diesem Fall gestaltet von Elisabeth Schimana selber, stellt auch das Herzstück der Portrait-DVD über Rebekah Wilson dar, der Frau hinter dem Pseudonym Netochka Nezvanova, die, ihre wahre Identität geschickt verbergend, in den 1990er Jahren für regelmäßige Aufregung in der Welt der digitalen Datennetzwerke sorgte.

Bekannt wurde Netochka Nezvanova zuerst einmal als Schöpferin von "nato.0+55", einer bald sehr beliebten graphischen Programmierumgebung für Live-Videoperformances.

Verwirrung in den Datennetzen

So richtig in Gang kam die Gerüchteküche dann aber, als sich langsam auch herausstellte, dass Netochka Nezvanova nicht nur über ein herausragendes technisches Wissen, sondern auch über einen höchst aufbrausenden, wankelmütigen und, wie es schien, herrschsüchtigen Charakter verfügte, wobei nie so ganz klar war, ob sich hinter dem Namen Netochka Nezvanova nun eine Einzelperson oder ein Kollektiv, ein tatsächlich so ernst gemeintes Verhalten oder ein Spiel verbarg.

Jedenfalls konnte es schon passieren, dass einem, obwohl man ja eigentlich dafür bezahlt hatte, die Updates von nato.0+55 verweigert wurden, wenn man Nezvanovas Meinung nach in irgendeiner Mailing-Liste eine unzulässige Bemerkung gemacht hatte.

Feministische Strategie

Gerade dieses Jonglieren mit unterschiedlichen Identitäten sei es, so Elisabeth Schimana, was sie an Netochka Nezvanova aka Rebekah Wilson faszinierte, die sie schließlich im Zuge eines längeren Studienaufenthaltes am Theremin Center in Moskau persönlich kennen lernen sollte, auch als eine spannende Komponistin und Musikerin, wie sie erzählt.

Interessant ist natürlich auch dieses Jonglieren mit unterschiedlichen Identitäten als Strategie einer Frau zu betrachten, die versucht, sich in einer Männerdomäne zu behaupten, denn natürlich, so Schimana, leben wir nach wie vor in einer patriarchalen Ordnung, auch wenn Frauen heute nur mehr selten dezidierte Verbote auferlegt bekommen.

Elisabeth Schimana: "Das waren auch wichtige Fragen bei der Gestaltung der Portraits, eben die Frage, wie es Liesl Ujvary und Rebekah Wilson gelang, sich einen Zugang zu verschaffen, zu der von Männern dominierten Welt der Medien und der Medienkunst; wie sie sich in dieser Welt behaupten konnten und welche fiktive Welt sie sich erschufen, um überhaupt existieren zu können."

Zukunftspläne

Die nächsten beiden DVDs aus der IMA Fiction Serie sollen Heidi Grundmann und Eliane Radigue gewidmet sein. Insbesondere jene "Ladies", wie sie Elisabeth Schimana bezeichnet, die heute bereits jenseits der 60 sind, möchte das IMA in der nächsten Zeit portraitieren.

Elisabeth Schimana: "Eliane Radigue hat ja zum Beispiel auch die Anfänge der Musique concrète miterlebt und mitgeprägt. Zumindest zu meiner Studienzeit habe ich nie etwas von Eliane Radigue gehört."

Hör-Tipp
Zeit-Ton Magazin, Mittwoch, 4. April 2007, 23:05 Uhr

DVD-Tipps
IMA Fiction Portrait 01, Liesl Ujvary
IMA Fiction Portrait 02, Rebekah Wilson aka Netochka Nezvanova

Links
IMA - Institut für Medienarchäologie