Zweite beim Haslinger-Literaturwettbewerb 2007
Gudrun Franz: "Der Preis der Sehnsucht"
Den ersten Preis des Josef-Haslinger-Literaturwettbewerbs 2007 gewann Gudrun Franz vom Caritas Ausbildungszentrum für Sozialberufe:
8. April 2017, 21:58
Den zweiten Preis des Josef-Haslinger-Literaturwettbewerbs 2007 gewann Gudrun Franz vom Caritas Ausbildungszentrum für Sozialberufe:
Der Preis der Sehnsucht
Es lebte einst ein Königspaar in einem Land weit südlicher dem unseren. Die Schönheit des Reiches spiegelte sich in jedem sattgrünen Blatt, in jeder köstlich schmackhaften Traube und in jedem wärmenden Sonnenstrahl, der die Haut kitzelte.
Besonders schön aber war das Violett eines Lavendelfeldes, das die Luft mit seinem vollen Duft erfüllte. Jeden Morgen ging die Königin zum Feld und ließ ihren Blick über die Lavendelblüten streifen, die im zarten Wind hin- und hertanzten. Oft verlor sie sich ganz im Betrachten der violetten Pracht, in der Schönheit der Blüten.
Das Königspaar lebte in gegenseitiger Liebe. Nur ein unerfüllter Wunsch warf einen dunklen Schatten auf ihr Glück. Sie hatten sich immer nach einem Kind gesehnt. Der König sehnte sich nach einem Sohn, dem er einst sein Reich vermachen konnte, die Königin hingegen insgeheim nach einer Tochter, der sie das Lavendelfeld zeigen konnte, das mit seiner unendlichen Inspiration ebenso ihr Leben bereichern würde.
Leider erfüllte sich ihr Wunsch nach dem Kindersegen nicht und so wurden die beiden sehr traurig. Oft fühlte sich die Frau, an der der Kummer schwer nagte, sogar zu schwach um zu ihrem Feld zu gehen. Der König sah dies alles mit Sorge und suchte nach einer Möglichkeit seiner einst so glücklichen Frau zu helfen.
Eines Nachts, als ein besonders starker Sturm über das Land hinwegfegte, wurde der König durch ein lautes Klirren geweckt. Schlaftrunken tappte er zum Fenster. Sein Blick nach draußen bestätigte ihm seinen Verdacht, der Sturm hatte Verheerendes angerichtet. Das Land war verwüstet. Eine Stelle jedoch war unversehrt geblieben - das Lavendelfeld. Er schloss seine Augen für einen Moment und seufzte erleichtert auf. Plötzlich hörte er erneut ein Klirren. Er entzündete eine Kerze und machte sich auf den Weg um die Ursache des Geräusches zu suchen. Langsam und auch etwas ängstlich tastete er sich entlang des Geländers die steinerne Treppe hinunter.
Die Tür zum Garten war von dem peitschenden Wind aus den Angeln gerissen und das Glas auf dem marmornen Boden zersplittert. Mit einem großen Schritt stieg er über den Scherbenhaufen hinaus in die Dunkelheit.
Da wurde er von einem besonders starken Windstoß erfasst und die Flamme der Kerze erstickte. Seine Gesichtszüge erstarrten. Sein Körper zitterte und ihm war, als legte sich ein düsterer Schatten über ihn.
Ich habe von eurem Leid gehört, raunte eine fremde Stimme.
Deine Frau wird noch in diesem Jahr einen Sohn gebären, wenn ihr bereit seid, auf etwas Wertvolles zu verzichten.
Verzichten? Worauf?, fragte sich der König in Gedanken.
Er blickte in das weite Land und hielt plötzlich inne.
Du musst das Lavendelfeld zerstören!
Der König schüttelte den Kopf. Niemals! Meine Frau liebt dieses Feld.
Der Schatten war beinahe verschwunden, als der König verzweifelt rief:
Ich werde es tun!
Niedergeschlagen schlich der König zurück in das Schlafgemach. Er sah seine schlummernde Frau an und ihm wurde bewusst, dass er ihren Traum zerstören musste, um den gemeinsamen zu verwirklichen. Die Last lag ihm schwer wie Blei auf den Schultern. Voll tiefer Traurigkeit näherte er sich dem Bett und küsste sie zärtlich auf die Stirn, ehe er zur Tat schritt.
Noch in derselben Nacht entfachte er ein Feuer und entzündete das Feld. Als er die Kraft der Zerstörung über dem Lavendel wüten sah, weinte er leise vor sich hin. Er glaubte, von jedem Halm, den die Flamme fraß, einen allerletzten Schrei des großen Traumes zu hören, den er gerade vernichtete. Der liebliche Duft des Lavendels verwandelte sich in beißenden Gestank Als das Werk vollbracht war und er zum Schloss zurückging, drehte er sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf das schwarze Nichts. Als die Königin am nächsten Tag zu ihrem Feld ging, fand sie nur noch Zerstörung und Asche vor. Mit einem Mal schnürte es ihr die Kehle zu und sie rang nach Luft. Vom Unfassbaren erschüttert, brach sie zusammen. Ab diesem Tage war sie stumm. Der König erzählte ihr, dass ein nächtliches Gewitter das Feld
vernichtet hätte. Ihre Seele jedoch blieb für immer stumm, denn ihr Traum war zerstört.
Doch die Prophezeiung erfüllte sich, einige Monate später gebar die Frau einen Sohn. Das Gesicht der Königin zierte zum ersten Mal seit langem wieder ein Lächeln, als sie den kleinen Knaben in ihren Armen wiegte.
Doch war das Glück des Ehepaares nur von kurzer Dauer. Die Königin wurde sehr krank und weniger als ein Jahr nach der Geburt verlangte der Tod nach ihr. Noch am Sterbebett übermittelte sie dem König die Bitte, sie auf ihrer einstigen Oase des Friedens zu begraben, umgeben von Lavendelblüten. Der König war tieftraurig über den Verlust und glaubte, dass das Schicksal ihm rachsüchtig die Liebe nahm, da er das Feld seiner Gemahlin zerstört hatte.
Er selbst war es, der das Grab aushob und den Sarg aus edelstem Holz versenkte.
Wie versprochen, säte er Lavendelsamen. Die Zeit verging, doch kein Pflänzchen wuchs. Dies beunruhigte den König ungemein, da sein schlechtes Gewissen öfter und öfter zu ihm sprach. Die Jahre zogen vorbei und der gemeinsame Sohn wurde erwachsen und übernahm die Regierung. Über den alten König aber wurde gesagt, dass er verrückt geworden sei. Eines Nachts nämlich hatte er den Traum gehabt, dass er ein steinernes Labyrinth bauen müsse. Dies sollte an dem Ort entstehen, wo es ihn seit dem Tod seiner Frau immer hinzog. Es war noch immer kein Lavendel gewachsen, die Erde war kahl und die Mauer trostlos, ein Ebenbild seines Inneren.
In seinem Wahn konnte er nicht anders, als die Wände des nun entstehenden Labyrinths immer höher und verwinkelter zu bauen. Je höher die Wände in den Himmel ragten, desto näher fühlte er sich seiner Frau. Eines Tages machte er einen Fehler, der sein Schicksal besiegeln sollte. Gerade den Ziegelstein für die letzte Mauer setzte er an der falschen Stelle. Ohne sich umzusehen, errichtete er die Wand. Sie erhob sich vor seinen müden Augen und er wusste, dass er nun seine Aufgabe erfüllt hatte. Als er aber den Weg nach draußen suchte, musste er feststellen, dass er sich eingemauert hatte. Zuerst dachte er, die Stimme hätte ihm diesen Streich gespielt. Doch es wurde ihm klar, dass er sich mit diesem Labyrinth seine eigene Grabstätte errichtet hatte. Schreien hatte keinen Sinn, denn die Mauern schluckten jeden Ton. Oft schickte er noch Gedanken nach oben. In seinen Träumen erhoben sie sich wie Vögel zwischen den Mauern in den blauen Himmel empor.
Es kam der Moment, in dem er sterben sollte. Entkräftet sank er zu Boden.
Er fand seine letzte Ruhe genau über jenem Stück Erde, das einst das Grab der Königin gewesen war.
In dieser Nacht sprossen die ersten zarten Lavendelpflänzchen der unfruchtbar geglaubten Erde und ein Lavendelfeld erblühte, schöner und duftender als es je eines auf dieser Erde gegeben hatte.