Über die Faszination "Ami-Schlitten"
Die Vermeidung des Autofahrens
Sie sind tonnenschwer und trotzdem ohne Kraft zu bewegen. Obwohl sie Frachtschiffen ähneln, reicht zum Lenken ein Finger. Klassische amerikanische Straßenkreuzer sind Autos zur Vermeidung des Autofahrens: Der nächste Schritt wäre ein Chauffeur.
8. April 2017, 21:58
"Die erste Frage lautet immer: 'Was braucht der?' Ich sag dann immer: 'Normalbenzin'". Die Frage nervt. Und sie kommt immer. Immer dann, wenn Peter Wolf mit seinem Cadillac Seville, Baujahr 1976, an der Zapfsäule hält.
Acht Zylinder in V-Formation, 5,7 Liter Hubraum und dann dieses sonore, tiefe, blubbernde Motorgeräusch, das klingt einfach nach Spritfresser. Gut, 15 Liter im Schnitt sind nicht wenig. Aber die braucht ein europäisches Auto gleichen Alters mit einem kleineren Motor auch, mindestens, und der Cadillac wird ja auch nicht jeden Tag benützt. Er ist ein Liebhaberfahrzeug auf dem Weg zum Oldtimer.
Die zweite Frage, die immer kommt, ist, wie viele Leichen in den Kofferraum passen: "Dann müssen Sie sich hineinlegen, und man muss den Deckel zuschließen. Es gehen auch zwei hinein. Haben wir alles ausprobiert."
Size matters
Peter Wolf besitzt seinen Cadillac Seville seit etwa sieben Jahren. Sein Vater stand auf VW Käfer, er selbst auf die Citroen DS und die großen Volvos, die die Eltern seiner Schulfreunde fuhren. Ein kleines Auto würde es bei ihm später nicht geben, schwor er sich, "und dann landest du zwangsläufig bei den Amerikanern".
Auch wenn sein Seville seinerzeit nur der zweitgrößte Cadillac im Angebot war, er ist eine wuchtige Erscheinung. Fünfeinhalb Meter lang, knappe zwei Meter breit. Gerade Linien, überlange Überhänge und eine Motorhaube wie eine Tischtennisplatte, die bis zum Kühler in der Waagrechten bleibt. Zwei Tonnen Stahl und Glas, eine Rohstofforgie auf Rädern.
"Es ist einmal ein Mal im Leben nicht kleckern, sondern ins Volle greifen. Das Gefühl der Üppigkeit. Das ist es einfach was mir taugt. Man muss so viel im Leben sparen. Ich muss beim Essen sparen, damit ich nicht zuviel zunehme, mein Haus muss sich an meinen Bausparrahmen anpassen, aber bei dem Auto, also zumindest bei den Ausmaßen und den verwendeten Materialien, da ist nicht gespart." Und dann fährt sich Peter Wolfs Cadillac auch noch fast von alleine.
Alles gleitet, klappt und rollt
Wie es sich für einen Amerikaner gehört, wird automatisch geschaltet. Die Lenkung ist so leichtgängig, dass man meint, das Auto schwebt. Der Bremse reicht schon der geringste Druck aufs Pedal, und per Tempomat hält das Auto die Geschwindigkeit von alleine. Fenster, Sitze, Spiegel, alles elektrisch verstellbar. Klimaanlage war selbstverständlich, damals schon, 1976.
"Es ist das Auto zur Vermeidung des Autofahrens", sagt Peter Wolf. "Das wichtigste ist einmal: du musst alles vergessen, was mit Gewinnen, vorne sein und schnell sein zu tun hat. Der Puls geht runter, und du hörst auf zu schwitzen, und lässt die Straße kommen. Um dich herum wuselt der Verkehr, sie quetschen sich rein und lassen ihr Ego raushängen - und du sitzt da drin in Ruhe, völlig entspannt und lässt alle spinnen." Da ist es völlig egal, ob mit 80 oder 100 gefahren wird.
Man lümmelt auf weichen Ledersitzen, mehr Sofagarnitur als Automöbel, lässt einen Finger lässig am Lenkrad ruhen und schaut zu, wie die Straße unter der enormen Motorhaube aufgespult wird. Der Monstermotor bullert untertourig und gelangweilt vor sich hin. Die weiche Federung hält Unebenheiten von den Insassen fern. "Das hat etwas Sedierendes", sagt Peter Wolf. Der nächste Schritt wäre ein Chauffeur.
Hör-Tipp
Moment, Mittwoch, 26. März 2008, 17:09 Uhr