Die Pornografisierung der Gesellschaft

Der Tanz um die Lust

Ariadne von Schirachs Buch ist eine recht subjektive Untersuchung über pornografische und erotische Strategien, privat und in der Werbung, über die Jagd und die Lust, mit Einlässen über Obszönität, Romantik und der "Legende vom großen Gefühl".

"Otaku" ist japanisch und bedeutet "Haus", es steht aber auch für einen sich abschottenden Menschen, der monomanisch einer Leidenschaft frönt - vor allem für einen männlichen Jugendlichen, der sich fast ausschließlich im Internet aufhält. Dort kommuniziert er mit Gleichgesinnten - und lebt seine erotischen Phantasien mit animierten Frauen aus. Otakus sind Spezialisten für virtuellen Sex und Selbstbefriedigung, manche veranstalten regelrechte Masturbationswettbewerbe. Keine Frage, Sex als Selbstbefriedigung - durch Internetspiele, Online-Simulation und Plastikpuppen - hat Hochkonjunktur.

Ariadne von Schirach kennt sich offenbar aus mit Otakus und Internetpornografie, mit Singlebörsen und Table-Dance-Bars. Vor eineinhalb Jahren hat sie im Magazin "Der Spiegel" einen Artikel geschrieben mit der Überschrift "Der Tanz um die Lust". Jetzt hat sie unter dem gleichen Titel ein Buch veröffentlicht: 380 - recht subjektive - Seiten über pornografische und erotische Strategien, über die Jagd und die Lust, mit Einlässen über Obszönität, Romantik und die "Legende vom großen Gefühl".

Perfektion der Künstlichkeit

Ariadne von Schirach konstatiert eine "fortschreitende Pornografisierung unserer Gesellschaft". Keine Mode-, Parfüm- oder Kosmetikreklame, die nicht mit knackigen Models wirbt. Prominente posieren nackt, Celebritys drehen Pornovideos, Pornostars wechseln ins Fernsehfach. "Es scheint, als würden sich die kulturelle und die pornografische Sphäre mehr und mehr durchmischen", schreibt die Autorin.

Die Dauerpräsenz perfekt designter Körper in den Medien bleibt nicht ohne Wirkung auf das Begehren, das von Illusionen genährt wird - ein "pornografischer Glamour", der nicht-lebbare Bilder produziere, wie die Autorin meint.

"Es gibt eine Form der Perfektion, der Kälte, der Künstlichkeit, die eine Rückwirkung auf die Realität hat, auf das Lebensgefühl der Menschen", meint Schirach. "Das bedeutet, es gibt einen unendlichen Versagensdruck, der mit einer sich stärker am Sichtbaren, am Sexuellen oder Pornografischen orientierenden Gesellschaft einhergeht. Diesem Druck sind nur sehr wenige gewachsen."

Der "pornographic turn", von dem Ariadne von Schirach spricht, führt offenbar in eine Sackgasse: Cybersex-Phantasien statt körperlicher Liebe, Selbstbefriedigung statt Geschlechtsverkehr. "Oversexed and underfucked", diagnostiziert die Autorin, sprachlich ganz auf der Höhe ihres Metiers.

Zeitgeist-Collage

"Der Tanz um die Lust" ist kein wissenschaftliches Buch. Behauptungen werden nicht mit Daten oder Fakten belegt, sondern mit Meinungen, Mutmaßungen und Zitaten. Ariadne von Schirachs "verführerische Gesellschaftsanalyse", wie der Klappentext das Werk bezeichnet, mischt Essayistisches mit Erzählerischem - wogegen erst einmal nichts einzuwenden ist.

Tabulos, kompetent und trendy will die Lust-Expertin sein - und mixt Soziologendeutsch mit Szenesprech, lyrische Ergüsse mit Verbalerotischem; gefällt sich in hochtrabenden Verlautbarungen (Verführung ist "die sinnlich-ästhetische Übermittlung von Persönlichkeit") und in überflüssigen Bekenntnissen ("Cock- oder Pussyteasing finde ich unfein").

"Der Tanz um die Lust" ist eine konfuse Zeitgeist-Collage, ein wirres Patchwork aus Angelesenem, flapsig Recycletem und Halbliterarischen, dem es nicht an pointierten Formulierungen, wohl aber an einem roten Faden, einer überzeugenden These mangelt. Und auch an einer Prognose über die Zukunft der "pornografischen" Gesellschaft. Mit diesem puffroten Paperback hat die 28-jährige Ariadne von Schirach ein großes Thema zu schultern versucht. Sie hat sich ziemlich verhoben.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Ariadne von Schirach, "Der Tanz um die Lust", Goldmann Verlag, 2007, ISBN 978-3442311156