Staatenlose Fremde im eigenen Land
Syriens Kurdenheimat Qamishli
An die 300.000 syrische Kurden gelten im eigenen Land als "Fremde". Sie sind "staatenlos", denn die Staatsangehörigkeit wird ihnen verweigert. Jegliche zivilen und politischen Rechte werden ihnen aberkannt, und das schon seit mehr als 40 Jahren.
8. April 2017, 21:58
Meinungen zur Kurdenproblematik
Syrien gilt als Staat, in dem die verschiedenen Religionen und Ethnien friedlich zusammenleben. Qamishli im Dreiländereck Syrien - Türkei - Irak ist quasi die Minitiaturausgabe des Landes. Die ganze Vielfalt der Menschen findet sich hier wieder. In dieser Stadt hört man die Menschen nicht nur Arabisch, sondern auch Kurdisch sprechen, und die Christen pflegen ihr Assyrisch oder Armenisch.
Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung spricht allerdings Kurdisch. Die Stadt ist somit gleichzeitig Sinnbild für Syriens ungelöste Kurdenproblematik, denn bis zu 300.000 syrischen Kurden wird die Staatsangehörigkeit verweigert, und das schon seit mehr als 40 Jahren. Politische Beobachter sehen die Hauptursache dieser Ausgrenzung in den Autonomiebestrebungen der Kurden begründet.
Die Verborgenen
1962 wurden bei der bis jetzt einzigen Volkszählung in der nordöstlichen Provinz Hassake, dem Hauptsiedlungsgebiet der Kurden, 120.000 Kurden die Staatsangehörigkeit aberkannt. Der Grund: Zu dieser Zeit wurden die Kurden in Syrien verdächtigt, mit jenen im Irak zusammengehen zu wollen. Seit damals haben Kurden keinen syrischen Ausweis, sondern eine Rote Karte, damit sie zumindest bei den Behörden registriert sind - allerdings als Ausländer, was bedeutet, kein Wahlrecht, kein Recht auf Land, Immobilien oder ein Geschäft zu haben.
Wer heute keine Rote Karte besitzt, gilt als so genannter "Maktum" - ein "Verborgener", "Geheimer". Ein "Maktum" hat kein Recht auf kostenlose Krankenversorgung, kann nicht beim Staat angestellt werden, kein Auto anmelden oder ein reguläres Abiturzeugnis bekommen. Seit 1970 ist es zwar wieder erlaubt, die kurdische Sprache öffentlich zu sprechen, verboten bleibt aber bis heute, in ihr zu publizieren und zu unterrichten.
Kinder staatenloser Männer sind in der Regel auch dann staatenlos, wenn die Mütter die syrische Staatsbürgerschaft besitzen, denn der Status des Mannes in diesem Land wiegt mehr. Das Problem der Staatsangehörigkeit trifft übrigens auch auf assyrische Christen zu, auch wenn sie ohne Ausweis nur einen Bruchteil der Kurden ausmachen.
Die Gründe für die kurdische Ausgrenzung
Nichtregistrierte gelten für den Staat als solche Personen, die nach 1962 illegal nach Syrien eingereist sind. Doch auch wer damals zufällig nicht da war oder aus anderen Gründen nicht erfasst werden konnte, fand sich ohne syrische Staatsangehörigkeit wieder.
Grund für die außerordentliche Volkszählung war nach Meinung vieler Kurden ein gezieltes Interesse des Staates, die offizielle Zahl der Kurden zu verringern. Dies zeige sich auch insofern, weil im Laufe der Zeit im Grenzstreifen zur Türkei bewusst syrische Araber und Christen angesiedelt worden seien, wird auf Seiten der Kurden argumentiert.
Unter vorgehaltener Hand schimpfen andererseits Araber und Christen auf die Kurden, weil die Forderungen nach kultureller Gleichberechtigung nur als Schritt Nummer Eins oder Zwei im geheimen Plan für einen eigenen Staat gesehen werden.
Politiker weichen aus
Von offizieller Seite weicht man dem Thema so gut es geht aus. Weder der Bürgermeister von Qamishli, noch der örtliche Chef der in Syrien regierenden Baath-Partei, noch der Gouverneur der gesamten Provinz wollen ihre Sicht der Dinge darstellen. Alle verweisen auf Damaskus: ohne Genehmigung von dort kein Wort. Doch selbst in der Hauptstadt wird auf die Möglichkeit verzichtet, die syrische Kurdenpolitik zu verteidigen und zu erklären.
Das syrische Informationsministerium argumentiert mit dem Druck des Westens und meint, dass es Wichtigeres wie etwa die Golanfrage und die Sache der Palästinenser zu lösen gebe. Immerhin sucht der Staat den Dialog mit den Kurden. Das war nicht immer so. So besuchte Präsident Bashar al Assad bereits 2002 die Kurdenregion; auch der Vize-Chef der regierenden Baath-Partei kam schon mit kurdischen Stammesführern zusammen, um über die Problematik der Staatsangehörigkeit zu beraten. Konkrete Ergebnisse gibt es bis dato aber nicht.
Kurdische Stellungnahmen
Der kurdischen Einheitspartei von Ismail Omr geht es nicht nur um kulturelle Rechte, sondern auch um Grund und Boden: "Wir wollen eine Selbstverwaltung in den kurdischen Gebieten. Unser Recht bezieht sich auf Volk und Erde. Wir haben das Recht auf unser Land. Das rassistische Projekt des arabischen Gürtels akzeptieren wir nicht. Aber wir sind Partner der Araber in Syrien - einem Land, das durch die Europäer so entstanden ist, weil sie den Nahen Osten aufgeteilt haben", betont er.
Der Unabhängige, zum Intellektuellen-Kreis der Kurden zählende Abu Kufan wiederum bestreitet Autonomiebestrebungen: "Wir denken nicht daran, uns von Syrien abspalten zu wollen. Unsere Forderung ist kein eigener Staat." Dem widerspricht die Tochter des bekannten kurdischen Schriftstellers Cegerxwin, Suad: "Ich möchte mein Land befreien. Ich wünsche mir eine Regierung, wie sie jedes andere Land auch hat. Ich bin gegen die Unterdrückung der Kurden. Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir einen eigenen Staat für alle Kurden. Aber wenn das nicht geht, dann ist eine föderale Struktur auch in Ordnung."
Das Fazit der Kurdenproblematik
Eines haben jedenfalls alle Kurden gemeinsam. Sie fordern unisono die Staatsangehörigkeit und mehr kulturelle Rechte. Einigen geht das aber nicht weit genug. Die Vorstellungen reichen von Kurdisch als zweiter Staatssprache, politischem Proporz bis dahin, die von den Europäern im letzten Jahrhundert gezeichnete Landkarte neu zu entwerfen. Die syrischen Behörden befürchten hingegen die Auflösung ihres Staates. Und so stehen berechtigte Forderungen berechtigten Befürchtungen gegenüber.
Dass es über diesen Konflikt keinen offenen, öffentlichen Austausch gibt, das schafft die Unsicherheit zwischen den Ethnien und Religionen - besonders in Qamishli im Dreiländereck Syrien, Türkei und Irak. Dazu kommt die Rolle der Sicherheitsdienste. Der 24-jährige kurdische Student Tayseer, der immer wieder vom Geheimdienst vorgeladen wird, bringt es auf den Punkt: "Der Geheimdienst nährt Hass und Zwietracht, erinnert die Christen immer wieder daran, dass es die Kurden waren, von denen sie 1915 umgebracht wurden, und er erinnert die Kurden, dass die Christen Christen sind und die Kurden eben Muslime. Der Sicherheitsapparat will die Leute voneinander fern halten, damit er selbst stark bleibt."