Jonathan Franzens Autobiografie

Die Unruhezone

Nach seinem Welterfolg "Die Korrekturen" veröffentlicht Jonatahn Franzen nun seine Autobiografie - im Alter von 47 Jahren. Leider ist für Franzen alles - und sind alle Menschen - in diesem Buch bloß Vorwand, um über sich selbst zu sprechen.

Das Buch "Die Unruhezone" beginnt damit, dass Franzen nach dem Tod seiner Mutter nach Hause fährt, um das Haus der Eltern zu verkaufen. Er lädt mehrere Makler ein und erteilt dann der Hübschesten von ihnen den Auftrag. Es kommt, wie es kommen muss, der Verkauf zieht sich in die Länge und am Schluss bekommt Franzen deutlich weniger, als sich seine Mutter erhofft hatte.

Der Autor nimmt diesen Fehlschlag zum Anlass, um über sein an Fehlschlägen nicht armes Leben zu resümieren. Mit der gleichen Unerbittlichkeit, mit der Franzen sonst seine Romanfiguren seziert, blickt er auf sich selbst. Er findet ein verschrecktes Kind, einen Mann, der trotz seiner Erfolge ein Außenseiter bleibt und im Innersten noch immer ein Nerd ist.

Viele Details

Christliche Feriencamps, Österreicherinnen mit sehr kurzen Röcken, der Versuch, die Jungfräulichkeit zu verlieren und welche Rolle Franz Kafka dabei spielte: über all das berichtet der Autor. Obwohl die Erzählung mit 256 Seiten ein für Franzen erstaunlich schlankes Buch ist, so langweilt man sich mit der Zeit doch gehörig. Das hat einerseits mit Franzens Stil zu tun. Wie schon in seinen Romanen beschreibt er jedes noch so kleine Detail mit übertriebener Akribie.

Eine Auswahl kleiner Sachen, an denen ich aus Treue zu meiner Mutter festhielt: eine Onyxbanane, eine Süßigkeitenplatte von Wedgwood, ein Kerzenlöscher aus Zinn, einen Messingbrieföffner mit Niellogriff samt dazugehöriger Schere in einem grünen Lederfutteral.

Wichtig genommenes Nichts

Ein wenig gemahnt es an Größenwahn, als noch relativ junger Autor "eine Geschichte über mich" zu schreiben - wie das Buch im Untertitel heißt. Vor allem dann, wenn man wie Franzen nichts Besonderes erlebt hat und nun so tut, als wäre ebene jenes Nichts etwas ungeheuer Berichtenswertes - was unter anderem zu seitenlangen Abhandlungen über die Comicreihe "The Peanuts" führt. Das liest sich dann wie eine amerikanische Version von "Wickie, Slime und Paiper".

Wie wichtig muss sich jemand nehmen, der glaubt, die Welt brenne darauf, zu erfahren, dass die Familie einen 51-cm-Schwarzweißfernseher und einen mittelgroßen Dodge besaß und Franzens Taschengeld 25 Cent betrug, "zahlbar sonntagvormittags."

Aufgeklärter Ostküsten-Liberalist

Die Kritikerin der New York Times wies als eine der Wenigen darauf hin, dass Franzen so von sich eingenommen ist, dass die anderen Personen in diesem Text vollkommen flach bleiben. Niemals hat man das Gefühl, lebende Menschen gezeigt zu bekommen. Für Franzen ist alles - und sind alle Menschen - bloß Vorwand, um über sich selbst zu sprechen.

Ärgerlich auch Franzens platte politische Abhandlungen. Er ist ein typischer Vertreter des aufgeklärten Ostküsten-Liberalismus, der den bösen Kapitalismus und die Rechten für die Zerstörung der Vereinigten Staaten verantwortlich macht. Aber auch das klingt bei Franzen ungeheuer simpel und hat ungefähr das Reflexionsniveau eines Michael Moore. Andererseits aber zeigt er sich durch und durch ignorant. Er habe keine Kinder, schreibt er, und außerdem wohne er in einer Gegend New Yorks, die selbst bei einem Anstieg des Meeresspiegels nicht überflutet würde. Also müsse er sich auch nicht um die Klimaerwärmung scheren.

Rückzug ins Private

Man wird das Gefühl nicht los, als gehe es Franzen weniger um Politik, als vielmehr darum, von der Welt ihn Ruhe gelassen zu werden, um weiterhin seine privaten Probleme wälzen zu können. Das ist natürlich ein legitimer Ansatz und die beste Literatur wurde von Leuten hervorgebracht, die sich den Banalitäten der Welt entzogen, aber die galten dann auch nicht als brillante politische Köpfe und sonderten nicht Analysen wie folgende ab.

Es sind schöne Zeiten für einen amerikanischen Vorstandsvorsitzenden, schwere Zeiten für seinen Arbeiter mit dem niedrigsten Lohn. Schöne Zeiten für Wal-Mart, schwere Zeiten für die, die Wal-Mart im Weg sind. Wunderbar für Rüstungsunternehmer, beschissen für Reservisten, hervorragend für Manager von Rentenfonds, mies für die, die auf einen solchen gesetzt haben, besser denn je für die Spitzenkräfte, härter denn je fürs Mittelmaß, phänomenal für Gewinner eines Texas-Hold-'Em Pokertuniers, ein Elend für die, die nach Videopokerspielen süchtig sind.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 16. März 2007, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 18. März 2007, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Jonathan Franzen, "Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir", aus dem Amerikanischen übersetzt von Eike Schönfeld, Rowohlt Verlag, ISBN 978-3498021160