Windowlicker goes classic

8. April 2017, 21:58

Aphex Twin - einmal digital, einmal analog

Die sogenannte "Neue Musik" hat fast ein Jahrhundert lang die Aura einer künstlerischen Vorhut umgeben. Viele ihrer Verfahrensweisen sind auf manchmal recht verschlungenen Wegen in die Popmusik "eingesickert". Mittlerweile ist es nur mehr schwer festzustellen, welches Genre zuerst einen neuen Weg beschreitet, die Grenzen sind nicht mehr auszumachen.

So kann es passieren, dass ein 20-köpfiges Kammermusikensemble (natürlich!) aus den Vereinigten Staaten mit dem schönen Namen Alarm Will Sound sich zusammenfindet um - Techno zu spielen.

Die Zukunft der klassischen Musik

Alarm Will Sound, hierzulande noch unbekannt, ist Artists-in-Residence am geschichtsträchtigen Dickinson College in Carlisle, Pennsylvania. Die NY Times nennt das Ensemble die "Zukunft der klassischen Musik". Gemeinsam mit anderen Ensembles wie "Bang on a Can" aus New York repräsentieren sie eine neue Generation klassischer Ensembles. Ihnen gemeinsam ist die stilistische Unbekümmertheit, die aus ihrer großen technischen und interpretatorischen Kompetenz erwachsen ist. Junge Musikerinnen, die neue Herausforderungen für ihre Spielfreude und Neugierde suchen.

So kommt es, dass die Musiker und Musikerinnen von Alarm Will Sound mitunter im Konzert-Raum verteilt auch komplexe Stücke auswendig musizieren - und mit komplex meine ich: Europäische Avantgarde, bis ins kleinste Fizelchen ausnotiert, ohne ersichtliche Keys oder Anhaltspunkte für die Kommunikation.

Legenden umranken Aphex Twin

Ihre letzte Veröffentlichung nun gilt einem Musiker, der außerhalb der Popwelt oder Elektronikspezialisten bis vor kurzem nur wenigen ein Begriff war: Richard David James, besser bekannt unter seinen Pseudonymen wie Aphex Twin ("Windowlicker"), AFX, Caustic Window oder Polygon Window, inszeniert sich selbst als hochbewussten, vollkommen durchgeknallten Computer-Nerd, streut Gerüchte, verwischt seine Biografie und wurde in London schon des Öfteren als Fahrer eines Panzerfahrzeuges gesichtet.

Es wird über Aphex Twin die Legende erzählt, er hätte von der Rockband U2 das Angebot erhalten, einen Song zu remixen. Richard James, also Aphex Twin, sagte zu, der Remix veranlasste Bono, Chef und Sänger von U2, zu einem Anruf bei James, wo denn nun der Song geblieben sei - in James' Remix wäre auch bei genauem Hinhören kein Ton des Originals mehr ausfindig zu machen.

U2 komprimiert

Angeblich machte James klar, dass ihn das Original von U2 nun doch nicht so inspiriert hätte, wie es notwenig gewesen wäre, einen schönen Remix zu gestalten. Er, James, habe es daher vorgezogen, den U2 Song zu komprimieren, immer weiter und weiter, ihn immer mehr zu kürzen um sodann den gesamten Song in der Länge von ein paar Zehntelsekunden im Remix als Sound für seine Snaredrum eingesetzt.

So lautet die Legende.

Hier die Bezeichnungen, die man seiner Musik umgehängt hat: Ambient, Techno, Drum'n Bass, am besten aber: Intelligent Dance Music.

Wie viele Schläge pro Minute hat Techno?

Jetzt möcht ich ihnen ein wohl gehütetes Geheimnis verraten, mit der diese Bezeichnungen plötzlich einen Sinn ergeben und leichter auseinander zu halten sind: House, Elektro, Techno, Trance und wie sie alle heißen, sind im Prinzip nur Namen für unterschiedlich hohe BPM-Zahlen: BPM steht für "Beats per minute".

Danach steht an oberster Stelle, mit manchmal weit über 140 BPM, Techno, knapp gefolgt von Acid House, an unterster Stelle, also am langsamsten (oder sogar ohne Beat) steht Ambient.

Aphex Twin als verhaltener Lyriker

Alarm Will Sound und ihr Album "Acoustica: Alarm Will Sound performs Aphex Twin", zeigen in ihren Bearbeitungen nicht nur den scheinbar so harten, verrückten Technofreak mit seinen immer nah an der Perversion gehaltenen Videoclips, sondern präsentieren Aphex Twin auch als verhaltenen Lyriker mit einer Aura der Gebrochenheit, in den schönsten Momenten gar als innovativen und kreativen Vorreiter im Bemühen um die "Verbesserung" der Musik.