Serbiens Völkermord ohne materielle Entschädigung

Gerechtigkeit und wie man sie erlangt

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat befunden, dass Serbien seine Verpflichtung gegenüber der Genozid-Konvention verletzt hat, weil es 1995 den Völkermord in Srebrenica nicht verhindert hat. Eine materielle Entschädigung gibt es allerdings nicht.

Der IGH, der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag, hat am 26. Februar das Massaker von Srebrenica von 1995 als Völkermord definiert, zugleich aber Serbien von der direkten Verantwortung für das Morden freigesprochen.

Im Urteilsspruch heißt es, das ehemalige Jugoslawien treffe keine unmittelbare Schuld an der Ermordung von mehr als 7.000 bosnischen Muslimen. Die Regierung in Belgrad hätte aber versuchen müssen, dieses Massaker zu verhindern. Nach Auffassung der obersten Richter der Vereinten Nationen waren aber während der Zeit des Unabhängigkeitskriegs Armee und Verwaltung der bosnischen Serben nicht Jugoslawien zuzurechnen. Auch einzelne Verantwortliche auf bosnisch-serbischer Seite hätten Belgrad nicht direkt unterstanden. Damit ersparten sie dem einzigen Rechtsnachfolger Serbien Entschädigungen in Milliardenhöhe.

Schulderklärung ohne Konsequenzen

15 Richter des Internationalen Gerichtshofs haben in ihrer Urteilsverkündung neun Punkte der Anklage Punkt für Punkt aufgezählt. Was die muslimische Seite trotz ausdrücklicher Schulderklärung von Seiten Serbiens nicht befriedigte, ist die Tatsache, dass man den Staat Serbien für das Genozid in Bosnien Herzegowina nicht direkt für schuldig befunden hat.

Im zweiten Paragraf des Urteils ist unter anderem zu lesen: "13 Stimmen gegen zwei haben befunden, dass Serbiens Staatsorgane vom Genozid nichts gewusst haben." Im Klartext bedeutet das: Serbien als "Staat" hat die Genozide in Bosnien Herzegowina nicht verhindert, aber auch nicht durchgeführt.

Reaktionen nach dem Urteil

Unberührt von emotionellen Einflüssen erfährt man in diesem mehrhundertseitigen Urteil als nicht direkt mit den Geschehnissen involvierter Außenstehender sehr viel über die Schwierigkeiten in der Nachkriegszeit und die Probleme in Süd-Osteuropa. Über die eigentliche Problematik und über die Umstände, die zu dem Massaker in Srebrenica geführt haben, erfährt man allerdings weniger.

Die Menschen aus Bosnien Herzegowina selbst können dieses Urteil jedenfalls sehr schwer nachvollziehen und verstehen. Denn die Folgen dieses Urteilskompromisses liegen auf der Hand: Die von bosnischer Seite mit umgerechnet etwa 76,1 Milliarden Euro geforderte materielle Entschädigung fällt aus.

Auch im benachbarten Kroatien hat man die Entscheidung vom Internationalen Gerichtshof mit großer Enttäuschung wahrgenommen. Kroatien wollte bekanntlich selbst eine Anklage gegen Serbien erheben. Mit diesem Urteil sind jedoch die Chancen für ein erfolgreiches Resultat einer solchen Anklage sehr gering geworden. Denn es ist kaum zu erwarten, dass derselbe Gerichtshof in einem ähnlichen Fall ein anderes Urteil ausrufen wird.

Wenn man bei diesem Urteil wirklich über "Gewinner“ reden kann, dann sind das die Serben, sowohl jene in Serbien selbst, als auch jene in der Republika Srpska, die ein Teil des "gemeinsamen“ Staates Bosnien Herzegowina ist, wird allseits argumentiert.

Bosnische Muslime wollen auswandern

In den politisch pragmatischen Sphären könnte nun ein nicht erfahrener Mensch naiv hoffen, dass nach dem Gerichtsurteil trotz Unzufriedenheit einige beteiligte Seiten zur Ruhe finden werden. Man könnte auch naiv denken, dass die Zeit gekommen ist, sich endlich von der Vergangenheit zu befreien, um sich auf eine bessere Zukunft zu konzentrieren - nicht so in Bosnien Herzegowina.

Vielleicht nicht direkt vom Urteil beeinflusst, haben nämlich Muslime aus Srebrenica angekündigt, aus ihrer Stadt kollektiv auszuwandern. Unzufrieden mit ihrer Lage in der Stadt möchten sie alle Srebrenica am 16. April in Richtung Sarajewo verlassen. Dort wollen sie vor dem Parlament von Bosnien Herzegowina auf einen anderen, hoffentlich lebenserträglicheren Ort warten. Die bosnischen Muslime finden sich jedenfalls ein weiteres Mal von der Internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen. Auch bei einer in Srebrenica von ihnen ausgerufenen Konferenz, bei der sie ihre Probleme der Öffentlichkeit präsentieren wollten, sind keine Diplomaten aus westlichen Ländern gekommen.