Wien ist Musikschul-Schlusslicht

Wir müssen draußen bleiben

Die Musikstadt Wien verfügt nur über 17 Musikschul-Zweigstellen; zu wenig Standorte, zu wenig Lernangebote bei den traditionellen Instrumenten. Jährlich heißt es für viele Kinder, trotz abgelegter Eignungsprüfung: Wir müssen draußen bleiben.

Dietmar Flosdorf und Swea Hieltscher

Musikalische Nachwuchsförderung auf hohem Niveau scheint nicht das Problem der Wiener Musikschulen zu sein, problematisch ist es im unterschwelligen Bereich. Mit großer Sorge kritisieren engagierte Eltern, prominente Künstlerinnen und Künstler sowie Lehrende die mangelnden Ausbildungschancen an den Wiener Musikschulen.

Nur über 17 Musikschul-Zweigstellen verfügt die Musikstadt Wien, zu wenig Standorte, zu wenig Lernangebote vor allem bei den traditionellen Instrumenten. Jährlich heißt es für viele Kinder, trotz abgelegter Eignungsprüfung: Wir müssen draußen bleiben.

Wien hinkt hinterher

Die Statistik im Bundesländervergleich zeigt, dass Wien die wenigsten Musikschulen aufweist und, umgelegt auf die Bevölkerungszahl, auch die wenigsten Schüler. Während in Vorarlberg von 1000 Einwohnern unter 30 Jahren 95 Personen eine Musikschule besuchen, gehen in Wien nur 10 in den Instrumental- oder Gesangsunterricht.

Swea Hieltscher, die Leiterin der Musikschulen Wien, darauf angesprochen: "Das mit dem Schlusslicht ist richtig. Rein statistisch sieht es ganz genau so aus, wie es dargestellt wird." Warum das so ist? "Da müsste man weiter ausholen", so Hieltscher. "Das hängt mit einem historisch gewachsenen Gebilde zusammen. Wie Sie wissen, waren die Musikschulen und die Singschule gemeinsam mit dem Konservatorium Wien die Musiklehranstalten Wien und haben primär eine Aufgabe zu erfüllen gehabt, die da hieß: Nachwuchsbildung für das Konservatorium. Von daher standen die Musikschulen bis vor zwei Jahren, seitdem sind sie eigenständig, nicht so im Blickpunkt und Mittelpunkt, wie sie es jetzt mittlerweile sind."

Ganzheitliche Ausbildung

Die erst junge Eigenständigkeit der Musikschulen Wiens erforderte das Erstellen eines eigenen Profils, das Hinterfragen des Auftrags und das Definieren von neuen Bildungszielen. So will Swea Hieltscher vor allem klar machen, dass Musikunterricht nicht nur Freizeitbeschäftigung ein Mal pro Woche bedeutet.

"Wir bieten viele ergänzende Fächer an", erklärt Hieltscher. So ist etwa das Ensemblespiel fixer Bestandteil der Ausbildung, dazu kommen theoretische Fächer. "Wir legen sehr viel Wert auf die ganzheitliche Ausbildung, wir wollen auch die gesamte Persönlichkeit erfassen."

Initiative fordert Ausbildungsplatz für alle

"Wir rühmen uns immer, die Welthauptstadt der Musik zu sein, und dann bieten wir nicht genügend qualifizierten Unterricht an", so Franz Ferdinand Wolf, ÖVP-Gemeinderat und Gründer der überparteilichen Initiative "Pro Musik Wien", die in den vergangenen Wochen mehrfach an die Presse gegangen ist und eine die Anliegen unterstützende Unterschriftenaktion startete.

Während die Stadt Wien keinen Reformbedarf sieht, zeigt sich die neue Initiative alarmiert. Auf dem Forderungskatalog von "Pro Musik Wien" ganz oben steht Recht auf Ausbildungsplatz für alle, die den Aufnahmetest bestehen und ein ordentliches Musikschulgesetz.

Es geht um die Kinder

"Jede Initiative, die der Sache hilft, ist sinnvoll", betont Dietmar Flosdorf, Instrumentalpädagoge an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien als auch an öffentlichen Musikschulen. "Ob das jetzt ein Musikschulgesetz ist, wie es Oberösterreich hat, ob's politische Parteien sind, die das Thema sozusagen zu ihrem machen - das ist alles wunderbar, weil es geht um die Kinder, die gefördert gehören und denen man das nicht vorenthalten darf."

Wo liegt nun Wiens Defizit? "Es ist eine Frage des politischen Willens. Wenn ich weiß, dass die Luft schlecht ist, muss ich Maßnahmen setzen, dann baue ich Fahrradwege. Wenn ich weiß, dass zu wenig Kinder die Möglichkeit haben, in Berührung mit Instrumenten zu kommen, auf Grund der familiären Situation, dann muss ich was dafür tun. Wenn es mir wichtig ist. Wenn ich sage: Mir sind andere Dinge wichtiger. Dann ist das auch okay. Aber das ist dann einfach die Entscheidung, die man fällen muss."

Vorreiter Nieder- und Oberösterreich

Der politische Wille ist in jedem Fall in Niederösterreich gegeben, es kommt nicht von ungefähr, dass das Land über die meisten Musikschulen Österreichs verfügt, 420 sind es. Kontinuierlich wurden hier die Landesmittel für die Musikschulen gesteigert. Oberösterreich hat schon seit langem eine Vorreiterrolle in der intensiven Förderung des Musikschulwesens gespielt. In Wien ist es schwieriger.

"Ich habe nicht das Gefühl, dass es auf taube Ohren stößt", erläutert Musikschulen-Leiterin Hieltscher, "sondern dass wir uns in einer Situation befinden, wo die Gelder nicht so einfach zur Verfügung gestellt werden können, wie wir uns das wünschen und dass dort diese Spanne sehr groß ist: Wie können wir das, was wir uns wünschen, auch rein ressortmäßig umsetzen? Ich denke, dass die Ansätze trotzdem positiv sind, etwas zu verändern.

Ausweg Privatunterricht

Wer keinen Musikschulplatz in Wien bekommt, muss den kostspieligeren und bei weitem nicht allen Bevölkerungsschichten möglichen Weg des Privatunterrichts gehen. Das ist sehr weit weg von Modellen, von denen Dietmar Flosdorf träumt. Die Stadt Bochum hat eine Initiative gestartet, die da lautet: Jedes Kind ein Instrument.

Flosdorf kämpft seit sieben Jahren für die Gründung einer Musikschule in Penzing. Er hat einen Verein mitgegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem 14. Wiener Gemeindebezirk mit über 80.000 Einwohnern, das sind mehr Einwohner als St. Pölten und Bregenz zusammen, zu einer eigenen, von der Stadt Wien geförderten Musikschule zu verhelfen.

Instrument als Lebensbereicherung

"Es ist nicht nur eine Frage des Nachwuchses. Mir geht es nicht ums Kind, das zum Philharmoniker wird. Es geht mir einfach um jedes Kind, das eine Berührung mit dem Musikalischen und mit einem Instrument als Lebensbereicherung und Entwicklungsbereicherung für sich", so Flosdorf.

"Man weiß, welchen wesentlichen Einfluss Musik oder Musikausübung auf die Entwicklung eines Kindes hat, darum geht es primär. Wie man das umsetzt, ist eine Frage des politischen Willens."

Links
Musikschulen Wien
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
VGMP - Verein zur Gründung einer Musikschule in Penzing