Sturm, Kälte und Bücher

Kühle Köpfe, heiße Herzen

Die Färöer: achtzehn Inseln, knapp 48.000 Einwohner, eine Fläche etwa halb so groß wie Vorarlberg - und das Land, in dem pro Kopf und Jahr mehr Bücher erscheinen als in jedem anderen Land der Erde. Vorbildlich selbstbewusst, erfreulich unfanatisch.

Die färöische Literatur ist einerseits jung, betrachtet man das Alter der Schrift- und Bildungssprache Färöisch, andrerseits aber wieder sehr alt, gemessen an den Sprachdenkmälern. Möglicherweise aus den Jahren rund um 1000 stammt der älteste der drei Runensteine, den man bedauerlicherweise nicht wirklich entziffern kann. Der zweitälteste hingegen, gut 150 Jahre jünger, ist bereits ein Manifest des Selbstbewusstseins:

"Torkil Onundarson, Ostmann aus Rogaland, bewohnte diese Stätte zuerst" - einer der vielen Aussiedler aus Südnorwegen, die sich auf der von wenigen Wikingernachkommen besiedelten Inselgruppe niederließen, wo sie nach altnorwegischem Recht in einer Art Republik zusammenlebten und vom ältesten Parlament der Welt, dem Logting regiert wurden.

Schafsbrief mit 16 Artikeln

Irgendwann musste man die alten norwegischen Regeln den Gegebenheiten anpassen, und so wurde am 24. Juni 1298 ein neues, ziemlich übersichtliches Gesetzeswerk veröffentlicht, das bis heute "Schafsbrief" heißt, vielleicht wegen der tierischen Hauptdarsteller, vielleicht wegen der beiden Schafe im wunderbar ausgezierten Initial, vielleicht aber auch, weil er für die "Schafsinseln" galt.

Der Schafsbrief ist das älteste erhaltene Dokument in Färöisch und galt mit kleineren Abänderungen bis in die Neuzeit. Sieben der 16 Artikel regeln Weiderechte, Besitznachweise, Zähmung, Züchtung und die erlaubte Anzahl von Schafen auf einer Weide, aber auch, wer einen Hund besitzen darf und wer nicht, wie ungebetene Gäste, Arme und Zeugen zu behandeln sind, wie Bewirtung zu begleichen ist, wie die erlegten Wale aufzuteilen sind und was mit Treib- bzw. Strandgut zu geschehen hat.

Fröhliche Tanzlieder und finstere Sagas

Niedergeschrieben wurde in den Jahren darauf fast nichts, aber umso mehr wurde erzählt und gesungen. Man liebte lange, dramatische Balladen, fröhliche Tanzlieder, finstere Sagas und naiv-kindliche Märchen, die man einander an den langen Winterabenden und sicherlich auch während des Sommers erzählte. Als dann die Dänen im 16. Jahrhundert die Reformation auf die Färöer brachten, verdrängten sie die Runen und die färöische Sprache.

Dänisch war bis weit ins 19. Jahrhundert schriftlich und mündlich Hauptsprache. Erst die Aufklärung ließ die Färöer den ungeheuren Reichtum ihrer Balladen und Legenden erkennen und man begann damit, sie aufzuschreiben. Der erste Färinger, der wieder in Färöisch dichtete, war Nólsoyar Páll. Seine Vogelballade wurde zum flammenden Appell für die Unabhängigkeit der Färöer und zum Symbol für den Widerstand gegen den Dänischen Kolonialismus und das dänische Handelsmonopol, das seit 1620 galt.

Verteidigung der färöischen Sprache

Dann kam es zum Weihnachtstreffen der Färöer. Am 22. Dezember 1888 erschien in der einzigen färöischen Zeitung folgender Aufruf: "Alle und jeder ist eingeladen, sich am 2. Weihnachtsfeiertag um 3 Uhr nachmittags im Parlamentsgebäude einzufinden, wo wir diskutieren wollen, wie die färöische Sprache und Tradition verteidigt werden kann."

Es war ein denkwürdiger Nachmittag, denn trotz tobendem Sturms und matschiger Straßen waren viele gekommen und setzten den Anfang der "sprachlichen Revolution": Färöisch sollte zur Schul-, Kirchen- und Amtssprache werden und eine färöische Volkshochschule sollte eingerichtet werden. Die Realisierung dauerte: Färöisch wurde 1937 offizielle Schulsprache, 1938 Kirchensprache und mit dem Autonomiestatut 1948 Hauptsprache der Insel.

Land des Vielleicht

Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielten die Schriftsteller: Sie erschufen mit ihren Liedern, Erzählungen, Kinderbüchern, Theaterstücken und Romanen das Färöische quasi neu. Seit 1958 gibt es einen eigenen Färöischen Literaturpreis. Literaturwettbewerbe ziehen junge Talente an. Seit den 1980ern gibt es auch einige kommerzielle Verlage, meist sehr kleine, die den bis dahin größten "Verlag", den "Eigen-Verlag", großteils ersetzen. Heute erscheinen jährlich ca. 100 Bücher, etwa die Hälfte sind Übersetzungen, 15 bis 20 originale Prosawerke, der Rest Sachbücher, Kinderbücher, Anthologien, Sagen.

Ein paar Details noch zum Schluss nicht dass Sie glauben, die Färöer lebten hinter dem Mond! Es gibt rund 17.000 Haushalte auf den Färöern, etwa 22.000 Autos, Ende 2002 war von 11.000 Internetanschlüssen die Rede, 75 Prozent der Färinger waren damals mindestens einmal pro Woche online, 80 Prozent aller Färinger besaßen Ende 2004 ein Handy. Am 12. Oktober 2006 wurde im Nordlandhaus in Torshavn die erste färöische Oper aufgeführt: "Im Garten des Verrückten" von Sunleif Rasmussen. Der erste färöische Spielfilm "Atlantic Rhapsody" von Katrin Ottarsdottir stammt aus dem Jahr 1989.

Ein Paradies für Kunstschaffende? Vielleicht, wenn das Wetter nicht wäre, denn die Färinger selbst nennen ihre Inseln: Land des Vielleicht - des Wetters wegen, denn um die Färöer macht kein Tiefdruckgebiet einen Bogen. Und die Stürme können plötzlich und heftig kommen. Weshalb Verabredungen immer das Wörtchen "vielleicht" enthalten.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 8. März 2007, 11:40 Uhr

Buch-Tipp
Verena Stössinger und Anna Katharina Dömling (Hg.), "Von Inseln weiß ich..." Geschichten von den Färöern, Unionsverlag, ISBN 3293003664

Links
Wikipedia - Färöer Inseln
Deutsch-Färöischer Freundeskreis - Färöer Inseln
The Madman's Garden - die erste färöische Oper
ijon.de - Färingische Kochrezepte