Neue türkische Gesetze nur ein Etappensieg

Frauen im Kampf gegen häusliche Gewalt

Unter dem Druck der EU hat die Türkei ihr Rechtssystem EU-Normen angenähert. Auch für Frauen ein Fortschritt. Doch Aktivistinnen kritisieren, dass der oft nur auf dem Papier steht. Sie hoffen, dass die heurige EU-Kampagne bezüglich Gewalt an Frauen mehr Früchte trägt.

Frauenrechtlerin Hülya Gülbahar über Ehrenmorde

Dieses Jahr ist eine EU-weite Kampagne dem Kampf gegen Gewalt gegenüber Frauen gewidmet. In der Türkei, das mit der EU in Beitrittsverhandlungen steht, haben Frauenaktivistinnen bereits allerhand gegen häusliche Gewalt bewirkt. Dennoch - so kritisieren sie - hapert es an der Umsetzung der neuen Strafgesetznovelle vom Sommer 2005. Jetzt zählen sie ganz auf Europa.

Nur langsame Fortschritte

In der Privatuniversität Bacesehir in Istanbul wird heftig debattiert. Bei einer Konferenz über häusliche Gewalt und Frauenrechte gehen die Wogen hoch. Eine der lautesten Teilnehmerinnen ist Leyla Pervizat. Sie ist Aktivistin einer Frauenplattform und hat ihre Doktorarbeit zum Thema "Ehrenmorde" verfasst.

"Gewalt wird langsam als Menschenrechtsverletzung gegen Frauen gesehen," freut sie sich über die Konferenz und ortet Fortschritte im Kampf gegen Gewalt an Frauen.

Keine Pflicht zu dienen
Auch die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Hülya Gülbahar arbeitet bereits seit mehr als 20 Jahren an der Verbesserung der Situation der Frauen in der Türkei. Wenn Hülya Gülbahar in ihrem Istanbuler Büro über Frauen redet, denen innerhalb der Familie Gewalt angetan wurde, betont sie, dass erst ein Bewusstsein geschaffen werden müsste:

"Manchmal sagen die Frauen, es ist ihre Pflicht zu dienen", erklärt sie und zitiert eine Studie: "71 Prozent der Frauen leben mit Gewalt; 40 Prozent davon mit physischer Gewalt, 20 Prozent mit sexueller Gewalt: Vergewaltigung, unübliche sexuelle Praktiken oder Analverkehr." Bis heute seien sich die Frauen nicht bewusst, dass das, was sie erleben, Gewalt ist.

Zu wenig Frauenhäuser
Mädchen, die in ihrer Familie Gewalt erfahren, bekommen meist nur Hilfe bei der Frauenbewegung. Denn Frauenhäuser gibt es in der Türkei nach wie vor zu wenig.

In Istanbul ist das autonome Frauenzentrum Mor Cati, auf Deutsch "Violettes Dach", seit rund 20 Jahren eine der Anlaufstellen. Die Beratungsstelle wurde von Hülya Gülbahar mitbegründet und ist im Stadtteil Beyoglu untergebracht. Sie unterhält auch ein Frauenhaus mit 20 Plätzen - eines der wenigen in der Türkei.

Zehn Jahre Haft für Ehrenmorde

Noch immer werde Gewalt gegen Frauen in der Türkei nicht ernst genommen, klagt Leyla Pervizat. Es sei zwar ein Gesetz verabschiedet worden, wonach pro 50.000 Einwohner ein Frauenhaus eröffnet werden müsse. Es wird von den meisten Gemeinden aber nicht vollzogen, sagt Pervizat: "Weil sie denken, diese Frauen sind sowieso Huren, weil sie ihren Ehemann verlassen haben."

Mit der Strafgesetznovelle im Sommer 2005 reagierte die Türkei auf Forderungen der EU. Das neue türkische Strafrecht weist Fortschritte bei den Frauenrechten auf. Vergewaltigung in der Ehe oder Jungfräulichkeitstests sind nun strafbare Delikte. Ehrenmorde werden mit mindestens zehn Jahren Haft bestraft.

Aufklärung und erwünschte Gesetzesmodifizierungen

Damit diese Gesetze nicht nur auf dem Papier gültig sind, führt Hülya Gülbahar jetzt Aufklärungskampagnen durch. Leyla Pervizat sieht die Forderungen der Frauenbewegung aber noch nicht erfüllt. Sie kritisiert unter anderem den Gesetzestext hinsichtlich Ehrenmorde:

"Das Gesetz hat keine Klausel für Ehrenmorde. Es hat nur eine Klausel für Brauchtumsmorde." Indem man die Morde als Brauchtumsmorde etikettiere, versuche die Türkei, das Problem zu einer "kurdischen Angelegenheit" zu machen, erklärt die Aktivistin: "Die EU muss die Türkei drängen, eine Klausel hinzuzufügen, die das Wort 'Namus' beinhaltet, damit Ehrenmorde, strenger bestraft werden".

Die neuen Gesetze - so Leyla Pervizat - seien trotzdem ein "großer Sprung nach vorne". Dennoch räumt sie ein: "Wir werden den Krieg nicht über Nacht gewinnen."

Mehr zu diesem Thema in oe1.ORF.at
Familienehre
Der Weg in die Moderne

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 6. März 2007

Links
Amnesty International Österreich - Gewalt gegen Frauen
Ucan Süpürge - türkische Frauenplattform
Hürriyet - türkische Tageszeitung
Europäische Union
Istanbul
Beyoglu