Ein Mord aus Rache oder ethnischen Gründen?

Mysteriöser Tod in Bijeljina

Am 22. Februar ist in dem kleinen Städtchen Bijeljina in der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina Dusko Kondor, einer der Gründer der International Helsinki Federation for Human Rights, ermordet worden. Ein "normaler“ Kriminalfall? Oder steckt mehr dahinter?

Im Dreieck zwischen Bosnien, Kroatien und Serbien in der Republika Srpska liegt ein kleines, unscheinbares Städtchen namens Bijeljina. Eine Gegend, die im ehemaligen Jugoslawien noch als Ort der Begegnung zwischen den Ethnien angesehen wurde. Angesichts der immer mehr auseinander driftenden Volksgruppen ist Bijeljina nach und nach zu einem Ort der Diskriminierung von Minderheiten geworden.

Just in diesem kleinen Städtchen wurde am 22. Februar ein Mann ermordet, der sich für die Menschenrechte einsetzte. Die ausgesprochen spärlichen Berichte in den Lokalzeitungen deuten auf ein durchschnittliches Verbrechen hin. Die Umstände und das Umfeld, in dem der Mord geschah, lassen jedoch andere Schlüsse zu.

Eine Stadt im Wandel der Zeit

Noch nach dem Zweiten Weltkrieg hat Bijeljina etwas mehr als 12.000 Einwohner gehabt. Wie aus der jugoslawischen Enzyklopädie hervorgeht, hat sich die Stadt unter osmanischer Herrschaft mit der Zeit in einen Verkehrsknotenpunkt verwandelt. Vor den letzten Balkan-Kriegen, die zum Zerfall Jugoslawiens führten, ist die Bevölkerungszahl auf 96 000 angestiegen, darunter etwa 60 Prozent Moslems, 30 Prozent Serben und der Rest ethnische Minderheiten.

Während des Krieges erlangte Bijeljina traurige Berühmtheit. Serbische Milizen mordeten wahllos, muslimische Zivilisten zerstörten Moscheen, und der Rest der muslimischen Bevölkerung wurde vertrieben oder Opfer von Massenexekutionen, Massenvergewaltigungen oder Deportationen in Konzentrationslager. So mussten etwa mehr als 70 Prozent der Roma aus Bosnien und Herzegowina fliehen. Viele davon haben auch in Österreich ihr Flüchtlingsrefugium gefunden.

Heute hat sich das Bild völlig gewandelt. Nicht nur die Anzahl der Einwohner ist auf 110.000 angestiegen, auch das ethnische Bild hat sich stark verändert. Die aus anderen Teilen Bosniens vertriebenen Serben haben die Stadt besiedelt. Bijeljina ist jetzt vorwiegend eine serbische Stadt mit einer kleinen muslimischen Gemeinde.

Bedrohte Minderheiten

"Bis heute sind nach Bijeljina etwas mehr als 5.000 bosnische Flüchtlinge zurückgekehrt“, steht auf der Webseite der GFBV, der Gesellschaft für bedrohte Völker. Nur ein kleiner Teil von ihnen hat es jedoch geschafft, ihre Eigentumshäuser zurückzuerhalten. Sie leben neben ihren Häusern in den eigenen Scheunen oder Kellern ihrer Häuser, in denen nun offizielle Institutionen der Republika Srpska untergebracht sind. "Schikanen und Diskriminierung gegen Minderheiten sind hier weit mehr ausgeprägt als in der Föderation von Bosnien und Herzegowina“, heißt es in einem Bericht über die derzeitige Situation.

In diesem Umfeld hat Dusko Kondor, Professor der Soziologie an der lokalen Mittelschule, seine Aktivitäten als Menschenrechtler für die IHF, die International Helsinki Federation for Human Rights, ausgeübt. Trotz ständiger Bedrohungen, die er in den letzten Jahren zu spüren hatte, wurde er von der lokalen Polizei nicht genügend geschützt. Unter mysteriösen Umständen ist er nun am 22. Februar in seinem Haus ermordet aufgefunden worden; auch seine Tochter wurde schwer verletzt.

Medienberichte über die Tat

Während in den internationalen Medien über den Mord an Dusko Kondor überhaupt nichts zu lesen war, gab es in den lokalen Gazetten unterschiedliche Berichte. So hieß es etwa, dass kurz nach der Tat ein Verdächtiger verhaftet worden sei - ein Mann, der angeblich in die Tochter von Dusko Kondor verliebt war. Weil sie seine Liebe nicht erwiderte, habe er aus Rache gehandelt. Der angebliche Täter sei als gewalttätiger Mensch bekannt und schon im Vorjahr zu einer siebenmonatigen Haftstrafe verurteilt worden.

Warum der Mann seine Strafe nicht abgebüßt hat, ist jedoch bis jetzt unklar geblieben. Wenn man die lokalen Blätter liest, könnte man jedenfalls den Eindruck bekommen, dass Kondor nicht wegen seiner Tätigkeit als Menschenrechtler getötet wurde. Andererseits steht fest: Am Tag seines Todes war er auf der hiesigen Polizeistation und beschwerte sich über die ständigen Bedrohungen gegen ihn. Offenbar vergeblich!

Wann folgt der nächste "Zufall"?

Dass der Mord vielleicht "zufällig“ von einem schon registrierten Verbrecher verübt wurde, ist die eine Seite, dass die Internationale Gemeinschaft auf die Berichte der Gesellschaft für bedrohte Völker nicht reagiert und hofft, dass sich die Lage in Bosnien-Herzegowina von selbst verbessern kann, die andere Seite der Medaille. Die GFBV ist jedenfalls nicht müde geworden, auf die katastrophale Situation der zurückgekehrten Flüchtlinge immer wieder aufmerksam zu machen, wenn sie schreibt:

Unter dem Druck der Internationalen Gemeinschaft wurden nur etwa zehn Rückkehrer auf bestimmte Zeit in der Gemeindeverwaltung angestellt. In Bijeljina sind noch immer Verantwortliche für Massenkriegsverbrechen auf freiem Fuß. Auf dem Gebiet der Gemeinde Bijeljina haben vor dem Krieg etwa 7.000 Roma gelebt. Heute leben dort etwa 2.000 Roma. Sie sind ständigen Angriffen, Provokationen und Diskriminierungen ausgesetzt. Kein einziger Roma ist beschäftigt.

Nach diesem Bericht wird es jedenfalls kein "Zufall" sein, wenn jemand wieder angegriffen oder vielleicht gar ermordet wird.

Links
GFBV - Gesellschaft für bedrohte Völker: Bijeljina
IHF - International Helsinki Federation for Human Rights