Eine Hand voll Profis
Pokerfaces
Fünf bis zehn Österreicher leben vom Pokerspiel. Wie macht man das Glück zum Beruf? Kann man das lernen oder gar üben? Wer es tut, wird es eher Sport nennen und den Intellekt der Tätigkeit hochhalten. Denn es ist Strategie, eine Überlebensstrategie.
8. April 2017, 21:58
Vorab hab ich mich informiert: Steuerlich betrachtet ist es ein Traum weil Glücksspiel. Poker-Profis riskieren und verdienen einen Haufen, einen großen Haufen Geld. Am grünen Filz tritt er in Form von Jeton (Plastikchips)-Bergen eindrucksvoll in Erscheinung. Übrigens das einzige Geräusch, das man hört, zumindest im Fernsehen: Das Klicken der Jetons, die von nervösen Spielern gereiht und geschichtet werden, diese Urlust eines Dagobert Duck, sich seines Reichtums klirrend zu vergewissern.
Voyage, voyage
Dank täglicher Poker-Shows im Fernsehen ist das kartenfixierte Draufgängertum rehabilitiert. Die Profis nennen es gar "Ausdauersport". Wegen des großen Andrangs bei der "World Series of Poker", den Poker-Weltmeisterschaften in Las Vegas, spielen mittlerweile 8.000 (vornehmlich männliche) Menschen. Dabei steigen nicht nur die Preisgelder, sondern auch die zeitlichen Limits, die Turnierdauer. Da muss man schon mal zwei Wochen bis zum goldenen Zenit durchspielen. Zwölf Millionen Dollar gab es 2006 einzuräumen. Also, sie sind nicht nur reich und wagemutig, sondern auch sportlich - diese Männer mit den schwarzen Sonnenbrillen in den Fernsehstudios von Las Vegas.
Lichtgestalten und Dunkelziffern
Ich fahre nach Salzburg und Linz, um zwei dieser Goldjungs zu treffen. Die österreichischen Auserwählten reagieren überraschend eifrig auf die Interviewfrage.
In Österreich sind fünf bis sechs Profis offiziell geoutet, eine unbekannte Dunkelziffer lebt in den virtuellen Gängen des Internet. Auch dort steuerfrei, aber nicht interviewbereit. Sie verstecken sich hinter Nicknames, ein guter Tipp übrigens für alle, die auf nicht konzessionierten Seiten spielen: Das ist nämlich strafbar. Allerdings wabbert die Gesetzeslage.
Anders der Salzburger und der Linzer. Sie wollen sprechen. Ich erwarte Männer mit der zurückhaltenden, messerscharfen Intelligenz von Schachspielern, den Glutaugen von Scharfschützen, dem psychologischen Verständnis einer Patricia Highsmith und dem Sexappeal eines Robert Redford gekreuzt mit Paul Newman. Einen Oberlippenbart würde ich bei soviel Talent und Verve verzeihen.
Nachtarbeit ohne Zuschlag
Eine Mischung aus Cowboy und Snowboarder begrüßt mich. Um den Hals trägt er ein Handteller großes mit roten Steinen besetztes Kreuz. Dieser Mann hat gelebt. Er steht kurz vor dem Abflug Richtung Goa, Indien, danach Dortmund, London, Bregenz. Er jettet von einem Turnier zum nächsten, keines unter 2.000 bis 5.000 Euro Startgeld; die Gewinnsummen auf der anderen Seite entsprechend großzügig in fünfstelligen Positionen.
"Poker ist einfach eine Leidenschaft", sagt der 34-Jährige. "Rechnen sie mal hoch, was da umgesetzt wird. Allein in einem der unzähligen Internet-Pokercasinos sind bis zu 70.000 Spieler gleichzeitig online. Da fließt das Cash." Wenn er nicht reist, trainiert er im Internet, erspart sich Reise- und Aufenthaltskosten für die Turniere, muss nicht auf seine Körpersprache wie bei der Live-Show achten, sich hinter der Iron-Man-Fassade kontrollieren. Nachtarbeit ist es halt, wegen der Zeitumstellung USA - Europa.
In Nordamerika vermutet man 50 Millionen Pokerspieler unter der Bevölkerung. - Schon wieder Zahlen. Geht es nicht ums Glück und den richtigen Griff beim Poker? "Nein, es geht um das richtige Timing", sagt Markus Golser. Er ist überzeugt vom Geld. Er tut es wegen dem Geld. Hätte ich gar nicht geahnt und memoriere das Dröhnen seines Sportwagens. So mancher Top-Tennisspieler würde über die Preisgelder eines Top-Pokerspielers die Augenbrauen heben, erzählt der Hobbyskifahrer eine Anekdote aus dem Crown Hotel in Melbourne. Dort treffen sich die Spielkarten- und Tennisracket-Halter zu ihren jährlichen Edelwettkämpfen und neiden sich ihre Triumphe oder aber schrauben hinauf, was der Prahlerei als Disziplin noch standhält. Also jetzt habe ich es verstanden: Es geht ums Geld und ums gute Leben.
Von der Post zum Pokern
Der Linzer gibt es gemütlicher. Er trägt bequeme Schuhe; sein Sakko schreit: Vorort von Linz. Er holt mich vom Bahnhof ab, zu Fuß. Und empfiehlt beim Vorbeigehen gleich den Würstelstand ums Eck, wo man so günstige und gute Mittagsmenüs bekäme. Das weiß er noch aus seiner Zeit bei der Post. Dort hat er 20 Jahre abgedient, seit zwei Jahren ist er karenziert, um sich ganz seinem lukrativen Hobby zu widmen. Und nicht mehr so früh aufstehen zu müssen.
Die Straße zum Sieg hat er schon als Kleinkind eingeschlagen, im Gasthaus des Großvaters beherrschte er schon mit drei Jahren das Schachspielen, war zweifacher Staatsmeister. "Aber das ist eine brotlose Kunst". Vom ewigen "Auf und Ab im Leben", "wie das Leben halt so spielt" und "wie es sich bei uns in Oberösterreich am Stammtisch so gehört" ist die Rede. "Bei einem guten Flascherl Rotwein" würden er und seine Kollegen schon mal in der Karibik über das Leben, das Pokern und was es halt sonst noch so gibt (Frauen?), philosophiert haben.
Harald Casagrande (kein Künstlername) weiß um Niederlagen und das "hinunterrasseln", vom großen Absturz in die existenzielle Leere und lehrt mich, dass man diese Phasen überdauern, durchhalten, weitermachen und den mühsamen Weg hinauf in den Olymp der Poker-Szene wieder antreten müsse. So ist das mit dem Gewinnen und den Gewinnern. Sie eröffnen eine wunderbare tiefe Einsicht in die Vielschichtigkeit menschlicher Lebensentwürfe. All-in oder ex. Nein, das ist nicht Paul Newman.