Verbrechen ohne Sühne
Mara Kogoj
In seinem zweiten Roman beschäftigt sich Kevin Vennemann mit einem ungesühnten Verbrechen an einer Kärntner Slowenen-Familie, begangen von einem SS-Kommando. Heute ist der Autor zu Gast in der Ö1 Sendung "Von Tag zu Tag".
8. April 2017, 21:58
Kevin Vennemanns Erzählung "Nahe Jedenew", sein literarisches Debüt 2005, schildert beklemmend realistisch den Einbruch der Gewalt in die Welt von Kindern. In seinem neuen Roman "Mara Kogoj" geht es wieder um Gewalt, nämlich um die Erfahrungen und Schicksale der slowenische Minderheit in Kärnten, die am Beginn des 20. Jahrhunderts noch mehr als 100.000 Personen umfasste und die seither - nicht zuletzt aus politischen Gründen - auf weniger als 20.000 geschrumpft ist.
Interview zu Heimat und Geschichte
Tone Lebonja und seine Kollegin Mara Kogoj, beide Kärntner Slowenen, interviewen im Rahmen einer Studie ausgewählte Kärntner über ihre Einstellung zu Heimat und Geschichte. Einer der Befragten ist der deutschnationale Journalist Ludwig Pflügler. Er ist der Typ des intelligenten Rechtsradikalen, der mit seinen Interviewern Katz und Maus spielt. Er hat auf alles eine Antwort, Fragen interessieren ihn nicht, Fakten nur, wenn sie seine vorgefertigten Meinungen stützen. Pflügler erinnert als Figur an den früheren Berater Jörg Haiders und jetzigen Chef-Ideologen der FPÖ, den Publizisten und EU-Abgeordneten Andreas Mölzer.
Kristallisationspunkt der von Pflügler im Roman ausgebreiteten Geschichten ist die "Heimkehrergedenkstätte" auf dem Ulrichsberg bei Klagenfurt, wo sich seit den 1950er Jahren jeweils Anfang Oktober Kameradschafts- und Abwehrkämpferbünde, ehemalige SS-Freiwillige aus ganz Europa, Politiker vom Klagenfurter Bürgermeister aufwärts bis in Ministerränge, Rechtsradikale und Neonazis zur jährlichen Bekräftigung ihrer Weltsicht treffen.
Von jeher ging es dort oben auch gegen Partisanen, Linke, Slowenen und Künstler, kurz gegen jene, die auf ihrer eigenen Wahrnehmung und Erinnerung beharren und für die die Geschichte des Landes mehr umfasst als die Mythen vom Ulrichsberg, etwa auch die Geschichte des Persman-Hofs, eines einst stattlicher Bauernhofes im slowenischsprachigen Gebiet Kärntens, der in der Kriegszeit ein wichtiger Partisanenstützpunkt war. Hier ermordete am 25. April 1945 ein Kommando eines SS- und Polizeiregiments elf Angehörige der Bauernfamilien Sadovnik und Kogoj, vorwiegend Frauen und Kinder, und steckte das Anwesen in Brand. Das Verbrechen wurde nie gesühnt. Schon bald nach dem Krieg wurde das Gerücht ausgestreut, die Partisanen selber hätten das Massaker verübt.
Schwindende Distanz
Lebonja war nach jahrzehntelanger Abwesenheit für das Interview-Projekt nach Kärnten zurückgekehrt und hatte sich vorgenommen, sich nicht in die alten Geschichten hineinziehen zu lassen, deretwegen er das Land verlassen hatte. Er will ein unbeteiligter Protokollant sein, doch das gelingt ihm schon deshalb nicht, weil er Pflügler offenbar von früher kennt. Mara Kogoj, die mit den Ermordeten vom Persmanhof verwandt ist und deren Mutter als Partisanin im KZ umkam, wird durch das unverschämte Auftreten Pflüglers ebenfalls aus ihrer professionellen Reserve gerissen.
In der folgenden Auseinandersetzung zwischen Kogoj und Lebonja, die für beide auch der Versuch ist, über die eigene Geschichte sprechen zu lernen, entfaltet der Text eine grundlegende Korrektur der politisch instrumentalisierten Geschichte des Landes. Zuletzt rechnet Mara Kogoj in einem Monolog von Thomas Bernhardschen Dimensionen mit den Geschichtsverdrehungen Pflüglers und der Ulrichsberggesellschaft ab, und sie leiht darin denen eine Stimme, die von jeher von den so genannten Heimattreuen übertönt und überschrien wurden.
Raum für unterdrückte Stimmen
Der historisch überaus gründlich recherchierte Roman schafft einen Raum für die unterdrückten, abweichenden Stimmen im Land, die die gewaltsame Harmonie der Ewiggestrigen stören. Der Gegensatz zwischen politisch instrumentalisierter Einstimmigkeit und der Polyphonie des Lebens bildet denn auch die Grundmetapher des Romans.
Da die Grundkonstellation des Erzählens die Situation des Interviews ist, bildet Vennemann den sprunghaften, oft emotionalen Duktus der mündlichen Rede in seiner "Stimmführung" des Textes ganz bewusst nach. Auf diese Weise werden Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit der Standpunkte besonders deutlich.
Das Ganze wird durch eine ungewöhnliche Interpunktion unterstützt. Sie unterstreicht und verstärkt die "oralen" Qualitäten des Textes: Pathos, Emphase, Stocken, Neueinsatz, Wechsel der Tonlage und Wechsel der Perspektive sind an der Interpunktion ablesbar. Der anspruchsvolle Text verlangt im Grunde danach, laut gelesen zu werden. Vielleicht, um sich besser Gehör zu verschaffen. Es wäre zu wünschen, dass ihm dies gelänge.
Hör-Tipp
Von Tag zu Tag, Mittwoch, 2. Mai 2007, 14:05 Uhr
Buch-Tipp
Kevin Vennemann, "Mara Kogoj", Suhrkamp Verlag, 2007, ISBN 978-3518418758