Literatur in der Diktatur
Keine Freiheit für niemanden!
"Jeder Schreibende, jeder Dichter, jeder Cartoonist Burmas wird von der Angst vor der Zensur regiert, denn alles, was ein wenig nach Freiheit und Persönlichkeit riecht, wird unbarmherzig verdammt." Dieses Statement wurde anonym abgegeben.
8. April 2017, 21:58
Die Zensur beherrscht die schreibende Zunft - als ob Schreiben in Burma/Myanmar nicht schon schwierig genug wäre: in diesem Vielvölkerstaat leben 153 Ethnien, man spricht 97 Sprachen, die zu sechs Sprachfamilien gehören. Natürlich gibt es eine gemeinsame Sprache - man blieb sehr pragmatisch beim kolonialen Erbe Englisch. Die Amtssprache ist Burmesisch und wird immerhin von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung gesprochen. 90 Prozent aller Burmesen können lesen.
Hoffnungsvoller Beginn der Unabhängigkeit
Mit der Freiheit hat Burma/Myanmar ein Problem, und zwar mindestens seit 1964. Dabei hat alles so hoffnungsfroh begonnen, nachdem der Staat unabhängig geworden ist: Mehr als 30 Tageszeitungen gab es im Burma der 1950er Jahre, davon sechs in chinesischer und drei in englischer Sprache.
Nachdem General Ne Win am 2. März 1962 die Herrschaft übernommen und den "burmesischen Weg zum Sozialismus" proklamiert hatte, dauerte es nicht lange, bis die ersten Zeitungsherausgeber inhaftiert wurden. Im September 1964 wurden die wichtigsten Zeitungen des Landes verstaatlicht, und das war's bis heute mit der Pressefreiheit - ausgenommen die Tage vom 27. August bis zum 21. September 1988. An diesen Tagen erschienen statt der bestreikten amtlichen Zeitungen inoffizielle Publikationen, die den Informationshunger in diesen unruhigen Zeiten höchst zufrieden stellend stillten. Worauf allerdings höchst brutal die "Wiederherstellung von Recht und Ordnung" (so nannte es die neue Regierung) erfolgte.
Zeitungsgründer Ludu U Hla
Diesen Rückfall in die Barbarei brauchte Ludu U Hla, einer der wichtigsten Publizisten seines Landes, nicht mehr miterleben. 1917 geboren, gründete er 1945 das 14-tägig erscheinende "Ludu Journal" (Ludu bedeutet "Volk"), ein Jahr später wurde daraus "Ludu Daily". Für U Hla war seine Zeitung auch Plattform für schreibende Talente.
Jeden Montag gab es eine Extrabeilage, die nur der Lyrik gewidmet war. Er ermutigte seine Schützlinge, Burmesisch zu schreiben, und er veranlasste, dass die alten Geschichten, die "im Volk" erzählt wurden, sowie Lieder und Tänze der verschiedenen Ethnien gesammelt wurden - wobei er einer der ersten Sammler war.
Gegen den Rat seiner Buchhaltung räumte er auch diesen Geschichten weiten Raum in seiner Zeitung ein, mit dem Argument, diese Geschichten würden zur Formung der Nation Burma beitragen. Am 7. Juli 1967 wurde "Ludu Daily" von der Militärbehörde geschlossen. U Hla aber setzte sich nicht zur Ruhe, sondern gründete einen Verlag und arbeitete und veröffentlichte noch entschlossener als bisher - bis zum 7. August 1982, als er 72-jährig und doch unerwartet starb.
Avantgardistische Lyrik
Eine andere Zentralfigur der burmesischen Literatur ist Dagon Taya, Weggefährte des Freiheitskämpfers Aung San. Er wurde berühmt, weil er den Helden Aung San Suu Kyi in einer für viele Burmesen schockierenden Biografie porträtierte. Dagon Taya schuf eine Art avantgardistischer Lyrik und propagierte den "Khitsan des Khitsan" - Khitsan wurde das "Neue Schreiben" in den 1920er Jahren genannt - und schien überhaupt ein Problem mit Autoritäten zu haben.
Einen hochrangigen Posten, den ihm Aung San in der japanischen Besatzungsregierung anbot, lehnte er ab, ebenso wie die Auszeichnung von General Ne Wins Regime, den mit einer stattlichen Pension verbundenen State Honorary Award, was ihn in den Augen seiner jungen Kollegen zum "Boris Pasternak von Burma" machte.
Heimliche Beachtung
Und auch der 1967 geborene und mittlerweile in Cambridge lebende Pascal Khoo Thwe hat in seiner Heimat große Beachtung gefunden, wenn auch heimliche, denn offiziell hat man ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen. Pascal Khoo Thwe hat 2003 eine Autobiografie veröffentlicht, die gleichzeitig die Geschichte seiner einst wohlhabenden Familie und ihrer Ethnie, der Kayan, die auf gut Burmesisch "Padaung" - Langhälse - genannt werden, erzählt.
Seine Erinnerungen an den Großvater, der sich noch von Schamanen beraten ließ, an den Vater, der zur katholischen Kirche konvertierte, den Einbruch der Politik in sein Leben, den Tod seiner Freundin während der Wirren 1988, seine Flucht in den Dschungel und schließlich seine unverhofften Aufnahme in Cambridge sind bislang nur auf Englisch erschienen: "From the Land of Green Ghosts: A Burmese Odyssee"
Burma/Myanmar als Kulisse
Erst 99 Jahre vor diesem Buch sind die beiden ersten burmesischen Romane erschienen: eine vom Graf von Monte Christo angeregte burmesische Eigenschöpfung, "Maung Yin Maung - Ma Me Ma", verfasst von U Hla Gyaw bzw. James Hla Kyaw, und die immer weiter wuchernde, von Intrigen geprägte Geschichte eines Verkäufers, der sich in eine hochstehende Dame verliebt, "Maung Hmaing" von U Kyee.
Und dann müsste man noch Burma/Myanmar als wunderbare Kulisse von literarischen Werken erwähnen, vor allem die wenigen, die in deutscher Sprache erschienen sind. Allen voran natürlich "Dämmerung über Birma", die Erinnerungen der Inge Sargent, jener Kärntner Emigrantin, die den regierenden Fürsten der Shan-Staaten heiratete.
"Tage in Burma", die Geschichte des englischen Holzhändlers Flory im Burma der 1920er Jahre, dem ersten Roman von George Orwell, der damit seinen Dienst als Offizier bei der britischen Kolonialpolizei aufarbeitete. "Der Glaspalast", die Saga einer Familie aus Mandalay, geschrieben vom in New York lebenden Inder Amitav Ghosh, den Bestseller des Kaliforniers Daniel Mason über den "Klavierstimmer seiner Majestät", der mitten im Dschungel Birmas den Erard-Flügel eines englischen Militärarztes pflegen soll, und "Pilgerreise in Myanmar", der Reisebericht der Journalistin Ma Thanegi, die es drängt, ihr Heimatland mit kritischen Augen zu sehen.
Nachtrag
Burma, Birma oder Myanmar? Die Burmesen hatten immer schon zwei Bezeichnungen für ihre Heimat: "Myanma" war der schriftliche, "Bama" der mündliche Name, und beide könnten aus einem gemeinsamen uralten Wort stammen. Die Briten schrieben nach dem Gehör Burma, andere westliche Staaten bevorzugten Birma. Seit den 1920er Jahren wurde überlegt, den entstehenden neuen selbstständigen Staat "Myanma" zu nennen, aber erst der aus den Unruhen von 1988 hervorgegangene "Staatsrat für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung" beschloss, den Vielvölkerstaat "Union Myanmar" zu nennen.
Wenige Tage später übernahmen die Vereinten Nationen den neuen Namen, während viele NGOs, aber auch die USA, Australien und einige weitere Staaten als Zeichen der Missbilligung des Militärregimes weiterhin bei Burma bleiben. Die EU hat sich für die Variante Burma/Myanmar entschieden.
Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 22. Februar 2007, 11:40 Uhr
Buch-Tipps
Inge Sargent, "Dämmerung über Birma. Mein Leben als Shan-Prinzessin" Unionsverlag, ISBN 3293203574
George Orwell, "Tage in Burma", Diogenes Verlag, ISBN 325720308
Amitav Ghosh, "Der Glaspalast", Blessing Verlag, ISBN 3896671200
Daniel Mason, "Der Klavierstimmer ihrer Majestät", Blessing Verlag, ISBN 3896672142
Ma Thanegi, "Pilgerreise in Myanmar", Unionsverlag, ISBN 3293202896
Links
The Irrawaddy - Dagon Taya (englisch)
The Irrawaddy - Pascal Khoo Thwe (englisch)