Die Kärntner "Transmigrationen"

Reisen ohne Wiederkehr

Zwischen 1734 und 1736 wurden 200 Protestanten aus Kärnten deportiert und zwangsweise in Siebenbürgen angesiedelt. Ein neues Buch sieht darin die "Geburtsstunde" der Deportation und zieht Parallelen zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts.

In den Jahren 1734 bis 1736 wurden aus mehreren Kärntner Grundherrschaften Protestanten nach Siebenbürgen deportiert. Bislang hat man sich mit diesem dunklen Kapitel österreichischer Geschichte nur aus der Sicht der oberen Behörden beschäftigt.

In seinem Buch "Reisen ohne Wiederkehr" erzählt der Historiker Stephan Steiner diese Geschichte aus der Perspektive "von unten" neu - und nicht nur das. Er interpretiert die Kärntner "Transmigrationen", wie sie in den zeitgenössischen Quellen genannt werden, als Geburtsstunde aller neuzeitlichen Deportationen in Mitteleuropa.

Die "Geburt" der Deportation

Was das im 18. Jahrhundert neu auftauchende Phänomen der Deportation von herkömmlichen Formen der Vertreibung unterscheidet, sind drei Aspekte, erklärt Stephan Steiner: "Erstens: Die Verpflanzung von Menschen von einem Ort an den anderen, der nicht frei gewählt werden kann. Zweitens: Der massive Einsatz von Militär. Und Drittens: Den Menschen wurde nicht gestattet, den Ort, an den sie gebracht wurden, wieder zu verlassen."

"Salzburger Emigration" löst Eskalation aus

Gegärt hatte der Religionskonflikt in Kärnten schon Jahrzehnte. In den 1730er Jahren eskaliert die Situation jedoch durch die "Salzburger Emigration": Durch einen Erlass des Salzburger Erzbischofs werden zwischen 10.000 und 20.000 Protestanten des Landes Salzburg verwiesen. Das heizt auch die Situation in Kärnten auf: 1733 fordern die Kärntner Bauern die Zulassung des lutherischen Gottesdienstes.

Die Behörden suchen darauf hin die "Rädelsführer" und "erkennen" diese in fünf bis sechs Bauern, die sie zum Militär stecken. Als diese Methode nicht greift, werden die Hauptverdächtigen nach Siebenbürgen deportiert.

Das Siedlungsprojekt scheitert

Die Situation, die die Deportierten in Siebenbürgen erwartete, war denkbar schlecht. Die Bauern, die meist aus dem großbäuerlichen Milieu kamen, wurden zu Tagelöhnern degradiert, Hunger und Seuchen verschärften die Lage. Innerhalb nur eines Jahres war ein Drittel der Transmigranten tot.

Die Überlebenden flüchteten - zurück nach Kärnten oder nach Wien, nach Pressburg oder nach Regensburg, wo das Corpus Evangelicorum seinen Sitz hatte - die Hauptvertretung der Protestanten. Regensburg war auch der bevorzugte Fluchtpunkt von jenen hunderten Menschen, die in den 1730er Jahren aus Kärnten emigrierten, um der Zwangsverschickung zuvorzukommen.

Zerrissene Familien, verschleppte Vermögensabwicklung

Flucht und Deportation hatten auch auf lokaler Ebene drastische Konsequenzen. In manchen Dörfern wurden bis zu 60 Prozent der Bewohner deportiert. Kleine Kinder, deren Bekehrbarkeit zum Katholizismus als realistisch betrachtet wurde, wurden von ihren Eltern getrennt und "unverdächtigen" Zieheltern übergeben. Auch die Vermögensabwicklung wurde zur Machtdemonstration: Die Ansprüche der weggeschafften Vorbesitzer wurden zwar penibel aufgezeichnet, deren Auszahlung jedoch um Jahrzehnte verschleppt.

Phänomene wie diese erinnern Stephan Steiner, der die Wiener Wehrmachtsausstellung organisiert hat, frappant an die Deportationen des 20. Jahrhunderts. Seinem Buch, das bislang unbekanntes Quellenmaterial aufarbeitet, gelingt es auf überzeugende Weise, hier Verbindungslinien aufzuzeigen. Damit bleibt die Geschichte der Kärntner "Transmigrationen" auch für die Gegenwart brisant.

Hör-Tipp
Dimensionen, Freitag, 16. Februar 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipp
Stephan Steiner, "Reisen ohne Wiederkehr. Die Deportation von Protestanten aus Kärnten 1734-1736", Oldenbourg, ISBN 3702905456

Link
Wespennest - Stephan Steiner