Die Geschichte des Italo-Western
Für ein paar Leichen mehr
Mit Sergio Leones Überraschungswelterfolg "Für eine Handvoll Dollar" nahm das Filmgenre des Italo-Western seinen Anfang. Nun hat der deutsche Sammler, Fan und Experte Ulrich P. Bruckner ein Buch über mehr als 40 Jahre Spaghetti-Western veröffentlicht.
8. April 2017, 21:58
Mitverantwortlich für den unaufhaltsamen Aufstieg der Italo-Western Anfang der 1960er Jahre war die damalige Krise des US-Westerns. Große Regisseure wie John Ford, Howard Hawks oder Fred Zinnemann hatten all ihre Trümpfe ausgespielt und wandten sich ab. Aus schillernden, raubeinigen Helden sind alternde, verbrauchte Männer geworden. Die Bösewichte waren müde und konnten kaum jemand mehr Schrecken einjagen.
Gringos und Gesetzlose
Ganz anders die europäischen Filmemacher: Aus der langen Tradition zahlreicher Kostüm- und Historienfilme leiteten sie viele konstruktive Ideen ab, die das Western-Genre von Grund auf erneuerten. Ort der Handlung waren oft wüstenartige Grenzstädte im amerikanischen Südwesten mit neuen dramaturgischen Problemstellungen: Gringos gegen Mexikaner, Banden aus dem Norden gegen Revolutionäre aus dem Süden, Ausbeutung, Armenelend und Familienhass. Brutaler Realismus statt kitschigem Pathos, auch auf die Gefahr hin, der bewussten Grausamkeit, ja des Sadismus bezichtigt zu werden.
Ihre Gesetzlosen handelten, wie eben Gesetzlose handeln. Ihre Kopfgeldjäger liebten die Dollarprämien mehr als das eigene Leben. Ihre Sheriffs waren ebenso korrupt und bestechlich wie die Bürgermeister und angesehenen Leute der Stadt.
Als Ende der 1960er Jahre Sergio Leones "Zwei glorreiche Halunken" auch in den USA zum Blockbuster wurde, standen ihm plötzlich alle Türen und Geldmittel offen, um sein großes Meisterwerk "Spiel mir das Lied vom Tod" mit der Traumbesetzung Claudia Cardinale, Henry Fonda und Charles Bronson, gebührendem Aufwand und auf Originalschauplätzen zu verwirklichen.
Unvergessliche Todesmelodien
Einen wesentlichen Anteil am Erfolg des Italo-Westerns hatte zweifellos die außergewöhnliche Musik. Ennio Morricone, Francis Lai, Luis Bacalov und andere schufen mit ihren "Todesmelodien" einprägsame Werke, die weit mehr waren, als bloße Untermalung. Ihr völlig neuartiger Sound passte exakt zu dem, was auf der Leinwand passierte.
Da Dialoge im Allgemeinen eher dünn gestreut waren, kam der Filmmusik eine umso größere Bedeutung zu. Den Komponisten sind ebenso ausführliche und üppig bebilderte Kapitel gewidmet wie den wichtigsten Regisseuren, sowie natürlich allen unvergesslichen Schauspielern wie Clint Eastwood, Lee Van Cleef, Eli Wallach, Charles Bronson, Giuliano Gemma, Franco Nero, Klaus Kinski und nicht zu vergessen: Terence Hill und Bud Spencer.
Wiederbelebung mit Hill und Spencer
Der Erfolg des Italo-Western brachte in den 1970er Jahren mit sich, dass die Konkurrenz immer härter wurde und die Konzepte immer ausgefallener sein mussten. Nachdem Filme mit epileptischen Revolverhelden, einarmigen Kopfgeldjägern, blinden Scharfschützen oder homosexuellen Söldnern aber nur unfreiwillige Lacher statt volle Kassen brachten, sorgten erst Hill und Spencer mit ihren Hau-drauf-Komödien für eine ungeahnte Wiederbelebung des Genres, das mit "Mein Name ist Nobody" einen späten, würdigen Abschluss fand.
Das fast 800 Seiten starke Kompendium "Für ein paar Leichen mehr" versteht sich keinesfalls als "Best of", sondern listet in verblüffender Detailgenauigkeit the good, the bad and the ugly Italo-Western seit Anfang der 1960er Jahre auf. Über die weniger gelungenen Streifen, ihre reißerische Aufmachung und vor allem über ihre deutschen Übersetzungstitel kann man sich heute noch totlachen: "Sein Wechselgeld ist Blei", "Die letzte Rechnung zahlst du selbst", "Rocco - ich leg dich um" oder "Noch warm und schon Sand drauf" sorgen ebenso für Heiterkeit, wie etwa ein Liste der Darsteller-Pseudonyme oder manche Szenenfotos. Insgesamt ist das Buch eine eindrucksvolle Chronik eines Fans, der alles weiß, alles besitzt und es dankenswerter Weise auch versteht, in übersichtlicher Weise darzustellen. Wie heißt es so richtig in einem Filmtitel: "Die Geier werden Schlange stehen."
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Ulrich P. Bruckner, "Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute", Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, ISBN 978-3896027054