Trinken und Macht in Russland

Wodka

Bis heute machen Alkoholsteuern ein Drittel des russischen Staatshaushaltes aus. Diese Abhängigkeit, schreibt Sonja Margolina, hat das Land zu einer Kolonie seiner selbst gemacht. Für sie ist die Trinksucht das Resultat einer verheerenden Staatspolitik.

700.000 Russen sterben jedes Jahr an den Folgen exzessiven Trinkens. Das ist jeder Dritte in der nationalen Todesfallstatistik. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, sagt die gebürtige Russin Sonja Margolina. Auch wenn Präsident Putin vergangenes Jahr drastische Kontrollen des nationalen Alkoholverbrauchs angekündigt hat.

Verbote wirkungslos

Putin ist nicht der erste, der versucht, den exzessiven Alkoholkonsum in Russland in den Griff zu bekommen. Das haben schon einige andere vor ihm probiert. Der russische Zar und die bolschewistischen Revolutionäre etwa. Aber auch Michael Gorbatschow. Vergeblich. Alle Pläne, die Nation mit einer gesetzlich verordneten Abstinenz auszunüchtern, sind bislang kläglich gescheitert und haben, wie etwa während des Ersten Weltkrieges und zur Zeit der Russischen Revolution, lediglich massive Umsatzsteigerungen bei Apothekern, Drogerien und Schwarzbrennern bewirkt.

Die Illusion von der moralischen Genesung des Volkes hielt sich nicht lange. Im Arbeitermilieu wuchs der Verbrauch von Surrogaten wie Methylalkohol, Eau de Cologne, Lacken und Lösungsmitteln. Die Bauern tranken Selbstgebrannten, und die Intelligentzija machte sich auf den Weg in die Apotheken, um medizinischen Alkohol zu besorgen. Innerhalb von zwei Jahren ersetzen Surrogate und illegaler Branntwein die ausgebliebenen Alkoholmengen mühelos und vergifteten das Volk besser, als es dem Staatswodka je gelungen war.

Verlust an Steuereinnahmen

Wladimir Putin setzt dementsprechend auf sanfte Entwöhnung. Und hofft, durch eine höhere Besteuerung und strengere Qualitätskontrollen den Wodkakonsum zu reduzieren - so zumindest hat er die Gesetzesänderung, die seit Anfang 2006 in Kraft ist, begründet. Alle Wodkabrennereien müssen seitdem computergesteuerte Anlagen installieren, die die Menge und das Mischverhältnis von Alkohol und Zusatzstoffen messen. Neue Steuermarken sollen auch auf die Flaschen geklebt werden, damit die Abrechnung der Abgaben auch korrekt funktioniert.

Putins Vorstoß erwies sich aber als Reinfall. Statt den Konsum zu bremsen, hat er erstmal nur die Wodkaproduktion gestoppt. Es gibt technische Probleme mit den Messanlagen, und die Steuermarken, die das Haushaltsbudget ein wenig aufbessern sollten, sind noch nicht einmal gedruckt. Damit gehen dem Staat 13 Millionen Euro pro Tag an Steuereinnahmen verloren. Wodka ist neben Öl und Gas immer noch eine wichtige Einnahmequelle des Staats.

Unverzichtbare Alkoholsteuer

Fast die Hälfte unseres jetzigen Budgets bezahlen wir mit der Schnapssteuer. Das heißt mit der Versoffenheit und der Verderbtheit des Volkes.

So klagte schon Dostojewski Ende des 19. Jahrhunderts. Bis heute machen Alkoholsteuern ein Drittel des Staatshaushaltes aus. Diese Abhängigkeit, schreibt Sonja Margolina in ihrem Buch, hat das Land zu einer Kolonie seiner selbst gemacht. Dementsprechend analysiert sie die Trinksucht nicht einfach als kulturelle Eigenart oder Ausdruck sozialer Verzweiflung, sondern vielmehr als das Resultat einer verheerenden Staatspolitik.

Margolina geht sogar so weit zu sagen, dass die politische Führung die Bevölkerung gezielt in die Alkoholabhängigkeit getrieben hat, denn ohne die Einnahmen aus der Alkoholsteuer wäre weder das Großmachtstreben der Zaren noch die Planwirtschaft des Sowjetreichs finanzierbar gewesen.

Saufen als Alltagskultur

Zusammen mit der Vielzahl an Feiertagen im russischen Kalender, die jeweils mit exzessiven Trinkgelagen begangen wurden, haben sie erheblichen Anteil daran, dass das maßlose Trinken heute zentraler Bestandteil der Alltagskultur ist. Und auch die Militärs sind nicht unschuldig an der Liebe zum Dauerrausch. Bis zum Ersten Weltkrieg, schreibt Margolina, machten Wodkarationen einen beachtlichen Teil des Soldatenlohns aus.

In ländlichen Regionen ist Schnaps bis heute ein begehrtes Tausch- und Zahlungsmittel. Am politischen Parkett dagegen funktionierte er vor allem als Schmiermittel für Beziehungen oder für die Demonstration von Macht und nationaler Überlegenheit.

110 Liter pro Jahr

Am Ende ihrer kleinen Kulturgeschichte des Wodkas zieht Sonja Margolina eine ernüchternde Bilanz: Russland ist Spitzenreiter im Konsum harter Schnäpse. 80 Prozent der männlichen Russen trinken - und zwar pro Person! - 110 Liter Wodka im Jahr. Viele davon schon lange nicht mehr freiwillig, sondern weil sie nicht anders können. Die Alkoholabhängigkeit legt 10 Prozent der Männer im arbeitsfähigen Alter lahm.

Gesundheitliche und wirtschaftliche Schäden sind nicht das einzige Problem, das der Wodka den Russen eingebrockt hat. Die Bevölkerung schrumpft seit Jahren dramatisch, um rund eine Million pro Jahr. Die hohe Sterblichkeitsrate unter Männern, bedingt durch Wodka, ist dafür maßgeblich mitverantwortlich und verschärft damit die negativen Konsequenzen der nationalen Trunksucht noch zusätzlich.

"Wenn früher im 19. Jahrhundert das Bevölkerungswachstum den Schaden mindern konnte ist es heute umgekehrt", erklärt Margolina. "Je weniger Kinder geboren werden, desto höher ist die Rate der Kinder, die alkoholabhängig geboren werden. Das ist seine sehr gefährliche Entwicklung. Die Veränderung kann nur von Migration kommen, dass Menschen mit anderen Alkoholkulturen einwandern."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Sonja Margolina, "Wodka. Trinken und Macht in Russland", Verlag WJS, 2004, ISBN 978-3937989037