Ein Interview mit dem kürzlich ermordeten Armenier
Hrant Dink, Opfer türkischer Nationalisten
Am 19. Jänner 2007 ist in Istanbul der aus der armenischen Minderheit stammende Journalist Hrant Dink auf offener Straße erschossen worden. In einem Interview vor zwei Jahren war er noch optimistisch; bald danach jedoch verschärfte sich seine Lage.
8. April 2017, 21:58
Hrant Dink zum Armenier-Genozid
Der Journalistenmord an Hrant Dink vor drei Wochen in Istanbul wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf den ominösen Artikel 301 des türkischen Strafgesetzes, der die "Beleidigung des Türkentums" mit Gefängnis bedroht. Der türkisch-armenische Intellektuelle war - so wie andere Schriftsteller und Journalisten auch - mehrmals wegen dieses Vorwurfs vor Gericht gestanden. Sein Mörder hat nach der Verhaftung angegeben, er habe die Ehre der Türkei retten wollen.
Noch vor zwei Jahren hat Peter Lachnit Hrant Dink in der Redaktion der zweisprachigen Wochenzeitung Agos in Istanbul besucht. Damals war er noch optimistisch. Bald danach jedoch verschärfte sich seine Situation. Immer öfter wurde er von nationalistischen Kräften der türkischen Gesellschaft und Justiz verfolgt.
Erinnerungen an ein Opfer nationalistischer Gewalt
Als ich vor etwa zwei Jahren Hrant Dink in den Redaktionsräumen der türkischen Wochenzeitung Agos in Istanbul traf, sprach er mit seiner Kollegin gerade Türkisch und nicht Armenisch. Darauf angesprochen, meinte er, dass hier oft die Sprache gewechselt werde. Er sei eben beides - Bürger der Türkei und guter Armenier. Auch die Zeitung erschiene zweisprachig:
"Zur Verteidigung unserer armenischen Identität verwenden wir auch das Türkische. Das ist wichtig, weil wir uns ja an die Türken wenden wollen, und ich glaube, das gelingt uns ganz gut." Dink meinte sogar, dass die Istanbuler Armenier das Glück hätten, unter Türken zu leben. Denn das würde ihnen überhaupt erst ermöglichen, miteinander zu reden.
Lobende Worte für Atatürk
Zur Person des Republikgründers Kemal Atatürk, dessen breites Foto über seinem Schreibtisch hing, hatte er zu meiner Verblüffung nur positive Worte übrig:
"Ich liebe Atatürk. Man muss Atatürk von den anderen Nationalisten unterscheiden. Sein Nationalismus war auch ein grundsätzlich anderer als der von heute, der zum Rassismus neigt. Wenn Sie dieses Bild aber genau anschauen, so können Sie sehen, dass das ein einzigartiges Foto ist: Es ist für Atatürk-Porträts nicht so typisch. Auf dem Foto ist er nicht als Soldat, nicht als Politiker abgebildet, sondern als Intellektueller. Allerdings muss ich dazu sagen: Wenn in einer Zeitungsredaktion oder in einem Geschäftslokal keine Fotografie von Atatürk hängen würde, dann würde das Aufmerksamkeit erregen."
Zu den Ereignissen von 1915
Bei unserem Gespräch vermied er damals das Wort "Genozid", wenn es um die Ereignisse während des Ersten Weltkrieges ging. Es gehe nicht um die Bezeichnung, sagte er, sondern darum, das anzuerkennen, was 1915 geschehen sei. Was das Thema der Armenier betreffe, so seien die Archive in der Türkei sehr spät zugänglich gemacht worden: "Jetzt hat man Zugang zu den Archiven - Sie können zwar ins Archiv gelangen, wie weit sie aber in sein Inneres vordringen können, ist fraglich."
Zur allgemeinen Meinung in der Türkei sagte er optimistisch: "Es war lange Zeit ein Tabu, über diese Geschichte zu reden. Das Tabu war stärker als jedes Gesetz. Aber jetzt, nachdem dieses Tabu langsam gebrochen wird, benötigt man offenbar ein Gesetz. Aber ich glaube nicht, dass sie damit durchkommen werden. Immerhin gibt es jetzt eine große Debatte in den Medien über die Meinungsfreiheit im neuen Strafgesetzbuch, und das ist etwas Neues."
Der Anfang vom Ende
Soweit Hrant Dink im März 2005. Doch seine Hoffnungen auf eine Verbesserung der Situation bewahrheiteten sich nicht. Das neue Strafgesetzbuch wurde im entscheidenden Paragrafen nicht geändert; eine Konferenz an der Bosporus-Universität zur Armenierfrage wurde abgesagt. Ein Monat nach unserem Interview wurde Dink wegen "Herabsetzung des Türkentums angeklagt und zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Bei seiner Verurteilung brach er in Tränen aus.
In einem Interview mit der Agentur Reuters im Juli des Vorjahres sprach er zum ersten Mal das berüchtigte G-Word aus: Ja, es habe sich 1915 beim Massaker gegen die Armenier um ein Genozid, um einen Völkermord gehandelt. Wieder wurde er angeklagt, und türkische Nationalisten und Journalisten verschärften die Kampagne gegen ihn. Er hätte geschrieben, dass das Blut der Türken "schmutzig wäre, war da zu lesen.
Sein letzter Artikel
In seinem letzten veröffentlichten Artikel in der Zeitung Agos schien er zu resignieren, als er schrieb:
Diejenigen, die mich isolieren wollen, haben es geschafft. Sie haben es mit ihren schmutzigen und falschen Informationen fertig gebracht, dass Hrant Dink nun von einem beträchtlichen Teil der Gesellschaft als jemand betrachtet wird, der das Türkentum beleidigt. Mein Computer-Postfach ist voll mit Drohbriefen von Bürgern aus diesem Teil der Gesellschaft. Wahrscheinlich wird 2007 für mich ein noch schwierigeres Jahr. Wer weiß schon, welch weiterem Unrecht ich noch ausgesetzt werde?
Gut gemacht, mein Bruder!
Leider hatte er mit seinen Aussichten Recht behalten. 2007 wurde sein letztes Jahr. Dink brachte die Drohbriefe zur Polizei, erhielt aber keinen Personenschutz. Das mit dem schmutzigen Blut der Türken hatte auch der 17-Jährige Ogün Samast in den Zeitungen gelesen. Auf der Straße vor dem Redaktionsgebäude in Istanbul erschoss er Hrant Dink am 19. Jänner.
Wenige Tage später wurde Samast gefasst, und nach seiner Festnahme posierten die Polizisten gemeinsam mit dem geständigen Mörder vor einem Atatürk-Plakat. Samast entfaltete eine türkische Fahne. Die Polizisten lächelten, und dann ließen sie sich gemeinsam fotografieren. In einem Video - so berichten türkische Zeitungen - sei zu hören, wie einer der Beamten zu Hrant Dinks Mörder sagt: "Gut gemacht, mein Bruder".
Link
Wikipedia - Hrant Dink