Martin Pollack über seine Arbeit

Kapuscinski übersetzen

Ryszard Kapuscinski, der rasende Reporter und Reiseschriftsteller, starb am 23. Jänner 2007. Seine Bekanntheit im deutschsprachigen Raum hat er seinem Übersetzer zu verdanken, Martin Pollack, mit dem er bis zu seinem Tod in Freundschaft verbunden war.

Das erste Buch von Ryszard Kapuscinski übersetzte ich 1983, es erschien ein Jahr später unter dem Titel "König der Könige. Eine Parabel der Macht" und machte den Autor im deutschen Sprachraum auf Anhieb bekannt. Kapuscinski wurde in großen Zeitungen und Magazinen hervorragend besprochen, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ebenso wie in der "Zeit" und im "Spiegel", ein guter Einstieg für einen angehenden Übersetzer.

Ein gut eingespieltes Gespann

Seit damals habe ich acht weitere Titel von Kapuscinski übersetzt, alles, was in deutscher Sprache erschienen ist. Wir sind eng befreundet und haben beschlossen, beisammen zu bleiben. Der Autor und sein Übersetzer, ein gut eingespieltes Gespann.

Das funktioniert nur, wenn man sich gut versteht und sprachlich einigermaßen kompatibel ist. Und das ist bei uns der Fall, obwohl Kapuscinski, was die Sprache angeht, für einen Übersetzer nicht einfach ist. Das liegt nicht an der Person, sondern an seiner Sprache, er verwendet gern verschiedene Sprachebenen und hat eine Vorliebe für ausgefallene, oft nicht mehr gebräuchliche Worte. Solche Raritäten, die er in alten Werken und Wörterbüchern aufstöbert, bereichern seine Sprache, kein Zweifel, machen aber die Übersetzungsarbeit nicht unbedingt leichter. Da bleibt dem Übersetzer nichts anderes übrig, als dem Autor auf seinen verschlungenen Wegen zu folgen und selber alte Wörterbücher und Lexika zu wälzen.

Seit ich Kapuscinski übersetze, habe ich mir eine umfangreiche Sammlung alter Lexika und Fachwörterbücher zugelegt, weil ich nie weiß, was mich beim nächsten Buch erwartet. Daher habe ich in meiner Handbibliothek das "Portefeuille für Forstwirthe" aus dem Jahr 1876 ebenso stehen wie den Slownik Kolejowy, ein polnisch-deutsch-russisches Eisenbahnwörterbuch von 1890. Ich möchte für alles gewappnet sein.

Großzügig eingestreute Zitate

Kapuscinski hat beim Schreiben noch eine Neigung, die mich manchmal zur Verzweiflung treiben kann. Er liebt Zitate, die er großzügig in den Text einstreut oder auch als Motto verwendet, wobei er oft vor einen Abschnitt gleich fünf, sechs Mottos stellt, Textstellen aus den verschiedensten Werken, von der Bibel über Autoren der Weltliteratur bis zu eher obskuren Titeln, die kein Mensch kennt.

Nun gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man Werke, die schon einmal übersetzt wurden, nicht noch einmal überträgt, sondern die vorhandene Übersetzung verwendet, auch wenn es sich bloß um ein Zitat handelt. Dazu muss man allerdings erst dieser Übersetzung habhaft werden, was gar nicht immer so leicht ist, vor allem bei älteren, weniger bekannten Werken, und dann muss man noch das Zitat finden.

Anfangs war ich so naiv, Ryszard zu fragen, auf welcher Seite dieses oder jenes Buches das Zitat zu finden sei? Er sah mich unschuldig an: Er habe einen Zettel an der entsprechenden Stelle ins Buch gelegt, doch der sei längst verschwunden, przykro mi, tut mir leid.

Literatur wieder entdecken

Ich erinnere mich noch an den letzten Absatz von Kapuscinskis "Imperium", ein Zitat aus Tolstois "Krieg und Frieden":

Nikolai hielt seine Pferde wieder zurück und sah sich um. Rings breitete sich immer noch dieselbe, vom Mondschein durchtränkte, verzauberte, mit Sternen übersäte Ebene aus...

Kapuscinski konnte beim besten Willen nicht mehr sagen, ob sich diese Sätze am Anfang, in der Mitte oder am Ende des dicken Wälzers finden. Also nahm ich mir wieder einmal "Krieg und Frieden" vor. Das Zitat fand ich ziemlich weit hinten.

Diese frustrierende Arbeit hat natürlich auch ihre guten Seiten. So werde ich von Zeit zu Zeit gezwungen, mich mit Werken zu befassen, die ich sonst vielleicht nie mehr zur Hand genommen hätte.

Mehr zum Tod von Ryszard Kapuscinksi in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Ryszard Kapuscinksi, "Meine Reisen mit Herodot", Eichborn Verlag, ISBN 3821845643

Mehr dazu in oe1.ORF.at