Böse Alte und brave Junge

Kuschelmonster

Schon mal was von der Versorgungslücke gehört? Die entsteht nicht, wenn der Edelwinzer Lieferungsschwierigkeiten hat. Mit der sollten sich junge Leute auseinandersetzen, wenn sie sich später das Altsein leisten wollen. Tun sie aber nicht.

Ich bin, nur weil ich älter werde, kein Verächter der Jugend. Ich bin, nur weil ich selbst bei großzügiger Auslegung des Jugendbegriffs nicht mehr als Jugendlicher durchgehe, auch kein hirntoter Adept aufdringlicher Anti-Aging-Propagandisten. Man ist so alt wie man ist und nicht wie man sich fühlt, warum soll ich biologische Tatsachen schönreden. 46 Jahre sind 46 Jahre, egal, ob ich wie 30 oder wie 60 aussehe.

Im vergangenen Jahr haben sich viele ältere Autorinnen und Autoren Gedanken über das Älterwerden gemacht. Aber, ganz ehrlich: Fast jeder, der nicht mehr jung ist, macht sich Gedanken darüber. Selbst die meisten, die von meiner Etage der Alterspyramide aus gesehen noch recht weit unten logieren, denn alt wird man immer, so viel steht fest.

Wo also ist der Erkenntniswert? Ein Blick in die Feuilletons hilft mir auf die Sprünge: Es darf darüber geredet werden, wie es ist, alt zu werden. Aber hallo! Und: Alter ist kein gesellschaftlicher Ausschließungsgrund mehr. Ach ja? Ich könnte an dieser Stelle andere Geschichten erzählen, Geschichten, die nicht in schicken Innenstadtapartments oder in toskanischen Ferienhäusern geschrieben wurden.

Heute wie gestern glaube ich, dass gesellschaftlich alles unternommen werden muss, um alternden und alten Menschen ihr missliches Geschick zu erleichtern.

Das schrieb Jean Améry vor rund 40 Jahren. Es wurde seither ja einiges unternommen: Mit großem medialen Aufwand wurde ein Imagewechsel herbeigeführt. Als hätte der jugendliche Altpolitiker Karl Heinz Grasser seine Hände dabei im Spiel gehabt, ging dieser Imagewechsel einher mit dessen legendärer Aufforderung: "Fühlen Sie sich erleichtert!" Wer bitte jammert da von der Versorgungslücke?!

Dementsprechend gefühlsecht sieht Werbefernseh- und buchmarkttaugliches Altern heute aus, edel irgendwie, so, als ob alle plötzlich alt sein wollten, wie der Burgunder, der erst genießbar ist, wenn er in die Jahre kommt. Gut gelaunt, privatärztlich rundum versorgt und versicherungstechnisch mehrfach abgesichert joggen wir dem Tod entgegen, reißen uns nach Exhibitionistenart den mottenzerfressenen Mantel vom Leib und strecken ihm all unsere Erfahrung, Kaufkraft und Restlibido entgegen. Nicht, dass wir den Schwarzen Mann damit nachhaltig beeindrucken könnten, er nimmt uns ja trotzdem eher früher als später in Empfang.

Aber die Jungen! Die machen runde Augen und staunen nicht schlecht über die Verfallsresistenz der Alten. Als könnte der Fisch in der Dose gegen sein Ablaufdatum protestieren! Ja nun, denn "alle Alten sind komisch - außer König Lear", sagt Hellmuth Karasek, und der muss es ja wissen:

Alle Alten sind komisch, vom eingebildeten Kranken bis zu Playboy Hefner, von Chaplin bis Picasso, der statt Sex täglich ein Bild malte - für 1 Million. Die klugen, alten Frauen haben sich versteckt - wie Marlene Dietrich oder die Garbo. Sie hassten die gelangweilten Blicke der Männer, die sie nicht mehr begehrten.

Wenn ich mit Ida Schöffling zusammensitze, einer klugen, älteren Frau, die viel raucht und auch sonst auf nichts verzichtet, wird mir vorgeführt, wie eine Verlegerin gegen die Alterslangeweile ankämpft: Sie hält sich junge Autoren. Mehr oder weniger schlüpffrische Küken, die nach oder neben einem ordentlichen Studium brav das Leipziger Literaturinstitut besuchen und tüchtig an ihren Texten feilen und tapfer das Stipendienwesen durchforsten und sich offenbar gerne knuddeln lassen, weil sie so lieb aussehen und sich manchmal beim Ingeborg-Bachmann-Wettlesen die Ohren langziehen lassen und dabei so putzig wirken, dass man sie am liebsten an die Brust nehmen würde. Heile, heile Mäusespeck, in hundert Jahren ist alles weg...

Das ist halt eine Laune der Ida Schöffling, zwischen Autoren und Plüschtieren keinen großen Unterschied zu machen, könnte ich mir denken, aber die Frau steht mit ihrer Liebe zum Kindchenschema nicht alleine da. Kürzlich nahm ich den jungen Autor Kevin Vennemann ein Stück in meinem Auto mit. Er sagte, ich hätte aber ein schönes Auto, setzte sich auf die Rückbank und legte den Sicherheitsgurt an. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der auf der Rückbank eines Autos unaufgefordert den Sicherheitsgurt angelegt hätte. Das also ist die Generation anschnallen-und-auf-Linie-bleiben, dachte ich und fühlte mich alt und ein bisschen komisch, weil ich so ein schönes Auto habe und ein bisschen Geld auf der Kante und in der Kunst und somit in der Literatur dennoch immer nur eines suche: die destruktive Kraft, das jedem guten Kunstwerk implizite Scheitern, das Eingeständnis des Künstlers, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern. "Ich wache auf und bin gleich im Notstand", heißt es bei Günter Eich. Klingt ziemlich antiquiert heute, aus junger wie übrigens auch aus alter Kehle.

Vielleicht hänge ich einer seltsam romantischen Vorstellung von Kunst nach, aber, ehrlich gesagt, wozu soll ich Bücher lesen, die so geschrieben sind, wie die Menschen anmuten, die sie geschrieben haben: süß, lustig, geradeheraus und von unverhülltem Genialitätsanspruch. Das kann ich tun, wenn ich außer einem Bypass nichts mehr vom Leben zu erwarten habe.

Früher gab es noch den so genannten Generationenkonflikt, den permanenten Notstand. Heute sind sich Jung und Alt darin einig, dass alles einerlei ist. Weil, wahrscheinlich kommt ohnehin die Klimakatastrophe oder der Atomsprengsatz. Dann droht keine Versorgungslücke mehr, dann tut sich dort ein riesiges Loch auf, wo sich einst Alt und Jung mächtig auf die Nerven gegangen sind. Schade eigentlich. Ich würde gerne wieder ein Buch lesen, das nur deshalb geschrieben wurde, weil es notwendig war, geschrieben zu werden.