Der Historiker Hagen Fleischer im Gespräch

Die "Reinwasch-Kommission"

Österreich lebte immer noch in dem Bewusstsein, Hitlers erstes Opfer gewesen zu sein, als 1987 die internationale Historikerkommission ins Leben gerufen wurde. Einer der Experten von damals, der Historiker Hagen Fleischer, blickt 20 Jahre zurück.

Hagen Fleischer im Gespräch mit Renata Schmidtkunz

Für die Ö1-Sendereihe "Im Gespräch" hat Renata Schmidtkunz den Historiker Hagen Fleischer in Athen besucht, wo er als Professor an der Universität lehrt.

Renata Schmidtkunz: Herr Professor Fleischer, im Jahr 1987 ereilte Sie eine Einladung, in der so genannten Waldheim-Kommission mitzuarbeiten. Nicht als Kommissionsmitglied, sondern als ständiger Experte für Spezialfragen. Wie wurde Ihnen denn diese Einladung überbracht?
Hagen Fleischer: Das Wort "ereilte" klingt so nach Schicksal. Die Einladung kam vom designierten Kommissionspräsidenten. Aber da es nach 20 Jahren immer noch eine Rolle spielt, ist es offensichtlich auch Schicksal. Die Einladung kam vom designierten Kommissionspräsidenten, einem Schweizer. Die Kommission hatte sich drei Tage zuvor gebildet. Und da nur ein Mitglied der Kommission wirklicher Experte war, nämlich Manfred Messerschmitt aus Deutschland, beschloss man, dass man aus den betroffenen Ländern, also aus Jugoslawien und Griechenland, zwei Experten hinzuzieht. Der griechische Experte war ich. Gleichzeitig erging eine Einladung an die jugoslawische Regierung, die aus viel diskutierten Gründen nie geantwortet hat.

An Jugoslawien, weil Waldheim während seiner Soldatenzeit auch im ehemaligen Jugoslawien stationiert war. Das war der Grund. Warum haben die nie reagiert?
Wir hatten Kontakt zu einem alten Mitarbeiter von Tito, einem Professor, der damals eine Gastprofessur in den USA hatte. Er meinte, es gäbe eine Waldheim-Lobby in Jugoslawien. Man wusste in Jugoslawien offensichtlich schon lang vorher, dass er während des Krieges dort war. Aus verschiedenen Gründen wollte man ihm offensichtlich keinen Stein in die Karriere legen. Wir haben es auch nachher gesehen, als die Kommission ihre Arbeit aufgenommen hatte, und auch zwei Mitglieder in Zagreb und Belgrad die Archive durchsahen: die bestellten Kopien sind nie ausgeliefert worden.

Setzt sich denn Jugoslawien heute mit dieser Vergangenheit auseinander? Ist die Historikerszene in Jugoslawien heute so, dass man anders schreibt, anders denkt?
Heute wären die Voraussetzungen wahrscheinlich besser. Nur, nach allem, was in den 1990er Jahren in Jugoslawien passiert ist, haben die so viel interne Probleme, Waldheim ist weg vom Fenster...

Wobei es ja dann weniger um Waldheim ging als vielmehr darum, dass der Balkan eines der Gebiete war, das von der Deutschen Wehrmacht eigentlich am brutalsten besetzt wurde. Das war ein harter Kampf gegen Widerstandskämpfer, Partisanen - sowohl in Jugoslawien, als auch in Griechenland.
Die ganzen brutalen Weisungen vom Führerhauptquartier oder vom Oberkommando der Wehrmacht in punkto Partisanenbekämpfung oder "Bandenbekämpfung", wie das damals hieß, bezogen sich immer auf Osteuropa und den Balkan. Der besetzte Norden und Westen Europas hatte im Vergleich dazu eine privilegierte Behandlung.

Warum war es hier so brutal?
Ich würde sagen, da spielten die ethnischen Stereotypen eine große Rolle. Die Slawen waren ohnehin in der Rangordnung der Rassen des Naziregimes ... standen etwas über den Juden, aber weit unter den übrigen Europäern. Das galt vor allem für die Serben. Die Kroaten wurden besser behandelt. Bei den Griechen war anfangs auch die Einstellung Hitlers etwas positiver, obwohl er natürlich immer betont hat, das seien nicht die Nachfahren der alten Griechen, sondern die wahren Nachfahren sind die Deutschen. Er hat das schon in "Mein Kampf" geschrieben.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 18. Jänner 2007, 21:01 Uhr

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