Einflussreichster Saxofonist der letzten Jahrzehnte

In memoriam Michael Brecker

Er hat den "schwarzen“ Jazz für "weißen“ Pop und Rock anschlussfähig gemacht. Michael Breckers vielseitiges Spiel ist auf nicht weniger als 900 Alben zu hören. Seine technische Virtuosität und sein rhythmisches Gefühl bleiben für viele eine Herausforderung.

Es gibt Künstler, die ihre Nachfolger geradezu zwingen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Kein Jazzmusiker kommt um John Coltrane herum, schon gar kein Saxofonist. Michael Brecker - eine Generation jünger - ist längst in einer ähnlichen Position. Er hat Coltranes Erbe wie kein anderer buchstäblich popularisiert - nämlich bis in den Pop getragen, und vielfältige Verschmelzungen aus Jazz, Funk und Rock geschaffen.

Schwarz-weiße Melange

Michael Brecker wächst in der brodelnden, weitgehend schwarz geprägten Musikszene Philadelphias in den 1950er und 1960er Jahren auf. Vater Robert, Rechtsanwalt und Hobbymusiker, nimmt seine Kinder in Clubs mit und bringt eine Hammond-Orgel nach Hause; Michael und sein älterer Bruder Randy hören und spielen Rhythm & Blues ebenso wie Bebop.

"Schwarzer“ Jazz und "weißer“ Rock fließen in dem Projekt zusammen, mit dem beide 1970-71 auf sich aufmerksam machen: die Jazzrock-Funk-Gruppe Dreams. Nach dem Musikstudium an der Universität von Indiana (Michael entscheidet sich fürs Saxofon, Randy für die Trompete) leben die Brüder seit 1969 in New York, spielen mit dem Fusion-Pionier Billy Cobham - und geraten erst danach in das Fahrwasser des klassischen (Mainstream-)Jazz.

Von Frank Zappa bis Frank Sinatra

Michael Breckers Vielseitigkeit bleibt nicht verborgen. Die Liste der Stars, die ihn schon ab Anfang der 1970er Jahre für ihre Aufnahmen hinzuziehen, liest sich wie ein Who is who einer Ära: John Lennon, James Brown, Joni Mitchell, George Benson, Bruce Springsteen, Frank Zappa ... bis hin zu Frank Sinatra (!). Brecker kann wohl als meistgefragter Sideman der letzten Jahrzehnte gelten, die Zahl der Produktionen mit ihm ist unbekannt - über 600 sind es alleine schon, bevor Michael Brecker 1987 endlich ein Album in eigenem Namen aufnimmt.

Auf seinen Projekten präsentiert Brecker sich als mit allen Wassern des Jazz gewaschener Musiker - ebenso virtuos wie innovativ als Bandleader wie als Instrumentalist. Brecker verfeinert die Melodieführung eines Coltrane, vor allem aber entwickelt er neue, komplexe Rhythmen - die Kombination in seinen Soli ist eine Herausforderung für jeden Kollegen.

Afrika am Horizont

Zwei Tourneen verändern den Menschen Michael Brecker und seine Musik. 1980/81 geht er mit Pat Metheny auf eine ausgedehnte Konzertreise durch Europa (dokumentiert auf Methenys Album "1980/81“) und erfährt ein überwältigendes Gefühl von Freiheit: "Ich konnte alles spielen. Auf der Bühne gab es eine Kommunikation im Jetzt, wie ich sie nie vorher erfahren hatte“, sagt er dem Jazzmagazin Down Beat. Der Gitarrist und der Saxofonist vertiefen das Spiel des jeweils anderen; es bleibt eine lebenslange gegenseitige Wertschätzung und häufige weitere Zusammenarbeit.

Ein Jahrzehnt später ist es Paul Simon, der Brecker neue Horizonte eröffnet - genauer gesagt sind es die afrikanischen Musiker, die auf Simons Album "Rhythm of the Saints“ und der anschließenden Tournee dabei sind. Die Musik des Kontinents, auf dem der Jazz seine Wurzeln hat, fasziniert Brecker: Unter anderem spielt er 1998 auf der CD "Scenes from my Life“ des Kameruner Perkussionisten und Sängers Richard Bona.

Die Reise ins Innere

Ein kraftvoll-zupackender Sound ist prägend für viele der Pop- und Rock-Platten, auf denen Michael Brecker zu hören ist. Daneben hat er vor allem in späteren Jahren seine lyrische, ruhige Seite kultiviert. Davon zeugt 2001 sein "Book of Ballads“ unter dem Titel "Nearness of You“. "Mein Spiel ist entspannter als jemals bisher“, sagte er 2000 über sein Album "Time Is Of The Essence“ - "vielleicht kommt das mit dem Alter, wenn man ein bisschen erwachsen wird“.

Es ist ihm wenig Zeit geblieben, diese "erwachsene“ Musik zu entfalten. 2005 wurde bekannt, dass Michael Brecker an myelodysplastischem Syndrom (MSD) und in der Folge an Blutkrebs litt. In seinen letzten Lebensjahren machte Michael Brecker Öffentlichkeitsarbeit für das Knochenmarkspenden und für eine Stiftung unter dem Namen "Time Is Of The Essence Fund“, auch wenn es wenig Hoffnung gab, einen Spender für Breckers seltenen Bluttyp zu finden. Michael Brecker bleibt - als Musiker, um den man nicht herumkommt.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Jazztime, Dienstag, 16. Jänner 2007, 21:27 Uhr

Link
Michael Brecker