Von der Spree an die Seine

Der "italienische" Meyerbeer

Wenn sich am 14. Jänner im Teatro La Fenice in Venedig zur Saisoneröffnung der Vorhang hebt, kehrt ein Werk zurück, das dort 183 Jahre davor seine Uraufführung erlebt und Opern-Geschichte mitgeschrieben hat: Meyerbeers "Il crociato in Egitto".

Die Lexika verzeichnen den in Mozarts Todesjahr 1791 in eine wohlhabende Berliner Patrizierfamilie hineingeborenen Jakob Liebmann Meyer Beer, den man heute nur mit seinem späteren Künstlernamen kennt, als "deutschen Komponisten". Das stimmt, was die musikalische Ausbildung betrifft, für die er zu Carl Zelter ging, dem Lehrer Mendelssohns, und zu Abbé Vogler, der auch Carl Maria von Weber unterrichtete.

Weltberühmt wurde Meyerbeer dennoch in Paris, wo er ab 1827 mit "Robert le diable", "Les Huguenots" und "Le prophète" den Operngeschmack der Zeit bestimmte und die "grand opéra" mit ihrer Mischung aus historischen Stoffen, szenischem Pomp und musikalischer Reizüberflutung auf die Spitze trieb. Italienische Komponisten wie Saverio Mercadante kamen nach Paris, um sich über die neueste französische Opernmode zu informieren, und kehrten mit Opern-Reformideen heim.

Komponierend auf Rossinis Spuren

Dabei war Giacomo Meyerbeer - der selbst gewählte italienische Vorname signalisiert es bereits - zwischen 1817 und 1824 einer der Ihren gewesen, ein italienischer Opernkomponist, auf den Spuren eines Johann Simon Mayr, der auch von Deutschland nach Italien gekommen war um dort für immer zu Giovanni Simone Mayr zu werden.

Von Padua über Turin und das venezianische Teatro San Benedetto arbeitete sich Meyerbeer mit seinen Kompositionsaufträgen zügig in Richtung Mailand vor, wo er sich mit "Margherita d’Anjou" und "L’esule di Granata" am Teatro alla Scala 1820/1 als einer der potentiellen Nachfolger von Gioachino Rossini profilierte. Erfolg brachten ihm die blendenden Cabaletten, die feinen Instrumentalmischungen, die rhythmische Verve - aber auch die Erfüllung der Publikums-Hörerwartungen.

Zwei Gipfelwerke des "Belcanto"

Rossini selbst sollte nur noch eine italienische Oper herausbringen: "Semiramide", 1823 am Teatro La Fenice. Ein Werk der Rückschau, noch einmal mit den ins Überdimensionale ausgeweiteten Formen der Einzelnummern, so wie in Rossinis früheren neapolitanischen Opern, mit halsbrecherisch virtuos verzierten Gesangsstimmen. Danach zog es ihn in den Opern-Olymp Paris, die Metropole mit ihren legendär hohen Honoraren - und Meyerbeer nützte die Gunst der Stunde.

Fast genau ein Jahr nach Rossini mit "Semiramide" hatte er seine erste Premiere am Fenice - und schaffte, was niemand für möglich gehalten hätte: im "Crociato in Egitto" den Rossini der "Semiramide" zu übertrumpfen, noch eins draufzulegen an bis zum Zerreißen weit gespannten musikalischen Bögen und Belcanto-Wonnen, an "gesuchten" Orchestereffekten und melodischem Abwechslungsreichtum.

Späte Kastraten-Oper

"Crociato" ist auch eine der letzten Kastraten-Opern, der berühmte Giovanni Battista Velluti wirkte bei der Uraufführung mit. Als hätte er erkannt, dass hier ein "non plus ultra" erreicht war, beendete aber auch Meyerbeer mit dem "Crociato" 1824 seine italienische Opernkarriere - und übersiedelte wie Rossini nach Paris. In seinem Gepäck: die "Crociato"-Partitur.

Opfer von Etatkürzungen

"Il crociato in Egitto" wurde eine Weile mit Begeisterung nachgespielt, bis etwa in die 1850er Jahre, dann verschwindet die Oper von der musikalischen Landkarte. Die erste szenische Wiederaufführung "in epoca moderna" war schon letzte Saison in Venedig geplant, fiel aber plötzlichen Etatkürzungen zum Opfer. Jetzt blickt alles gespannt auf die Fenice-"Inaugurazione" kommenden Sonntag, die wieder ins Bewusstsein rücken soll, dass Giacomo Meyerbeer ein italienischer Komponist war, bevor er zum französischen wurde.

Heinrich Heine hat seinerzeit miterlebt, welche Wirkung das Werk ausüben kann: "Habe ich jemals menschliche Raserei gesehen, so war es bei einer Aufführung des Crociato in Egitto, wenn die Musik manchmal aus dem weichen, wehmütigen Ton plötzlich in jauchzenden Schmerz übersprang. Jene Raserei heißt in Italien: furore."

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 11. Jänner 2007, 15:06 Uhr

Veranstaltungs-Tipp
Giacomo Meyerbeer, "Il crociato in Egitto", Sonntag, 14. Jänner, Dienstag, 16. Jänner, Mittwoch 17. Jänner, Donnerstag, 18. Jänner, Freitag, 19. Jänner, Samstag, 20. Jänner, Sonntag, 21. Jänner 2007, Teatro La Fenice, Venedig

Link
Teatro La Fenice