Ein Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen

Patenreise nach Dharamsala

Jedes Jahr im Oktober bricht eine Gruppe von österreichischen Pateneltern nach Dharamsala auf. Höhepunkt der 14-tägigen Reise ist das "annyversary", das SOS-Kinderdorf-Gründungsfest, in dessen Rahmen auch eine Audienz beim Dalai Lama gewährt wird.

Ein Rundgang mit dem Reiseleiter durch ein Kinderdorf

Jedes Jahr Mitte Oktober fahren österreichische Pateneltern tibetischer Flüchtlingskinder nach Dharamsala. Die Buben und Mädchen wohnen dort in SOS-Kinderdörfern. Viele Patenmütter und -väter sehen "ihre" Kinder dort zum ersten Mal persönlich. Im Gepäck haben sie nicht nur Geschenke, sondern auch vielfältige Erwartungen.

Höhepunkt der 14-tägigen Reise ist das "anniversary" - das "Kinderdorf-Gründungsfest", in dessen Rahmen der Gruppe auch eine Audienz beim Dalai Lama gewährt wird. Organisiert wird das Treffen von Save Tibet, der österreichischen Gesellschaft zur Hilfe an das tibetische Volk.

Das "anniversary“

Das erste Treffen zwischen den Pateneltern aus Österreich und den Patenkindern aus Tibet findet im Tibetan Children Village auf einem Sportplatz statt. Viele Kinder verhalten sich dabei eher schüchtern, vor allem dann, wenn ihre Flucht aus Tibet noch nicht lange zurückliegt. Andere wiederum reagieren spontan und sehr herzlich in ihrer Freude, ihre Pateneltern zum ersten Mal leibhaftig vor sich zu sehen.

In einem jener Dörfer sind die Heimmütter gerade mit den Vorbereitungen für das "anniversary" - das SOS-Kinderdorf-Gründungsfest beschäftigt. Gemeinsam mit den Kindern schmücken und putzen sie jedes Haus. Am Eingangstor wehen bunte Fahnen. Es herrscht eine freudig-aufgeregte Stimmung. Als der Dalai Lama am Sportplatz eintrifft, singt ein Mädchenchor tibetische Lieder. Hunderte Kinder in ihren blau-grauen Schuluniformen sitzen auf den Rängen, hören den Reden zu und bestaunen die Künste der Gymnastikgruppe.

Zur Audienz beim Dalai Lama

Während die jüngsten Kinder singen, werden die Pateneltern zur Audienz beim Dalai Lama gerufen. Sie müssen sich einem Sicherheitscheck unterziehen. Fotoapparate und Videokameras müssen sie ablegen. Die Obfrau des Save-Tibet-Vereins stellt die Gruppe vor und überreicht dem Dalai Lama einen Kalender mit Bildern aus seiner tibetischen Heimat. Ein Mitarbeiter des Dalai Lama macht ein Foto von der Gruppe.

Gemeinsames Einkaufen und Ausflüge im Jeep

Am nächsten Tag steht für viele Patenkinder Einkaufen im Ort auf dem Programm. Nicht alle haben ihren Pateneltern geschrieben, was sie sich wünschen oder - besser gesagt - notwendig brauchen. Die Wünsche der Kinder herauszufinden, ist gar nicht so leicht. Damit ist nicht unbedingt ein Verständigungsproblem gemeint - denn die Buben und Mädchen, die schon besser Englisch können, übersetzen gerne ins Tibetische. Es geht vielmehr darum, das Vertrauen der Patenbuben und -mädchen zu gewinnen.

Erst nach und nach bei den gemeinsamen Ausflügen lernen einander die Erwachsenen aus Europa und die tibetischen Flüchtlingskinder immer besser kennen. Auf offenen Jeeps geht es dabei unter anderem zu einer indischen Obstplantage in der Ebene nach Norbulingka, wo es nicht nur einen buddhistischen Tempel, sondern auch ein Puppenmuseum zu bestaunen gibt.

Gefährliche Flucht über den Himalaya

Über die Erlebnisse auf ihrer Flucht sprechen die meisten Kinder nicht Manche kommen schon mit drei, vier Jahren über 5.000 Meter hohe Pässe über Nepal nach Indien - von Erwachsenen am Rücken getragen. Die Größeren von ihnen stapfen durch den Schnee. Es ist ein enormes Risiko, das sie auf sich nehmen, um in tibetischer Sprache eine gute Ausbildung zu bekommen. Immer wieder bleiben Kinder im Schnee liegen und erfrieren.

Die Flüchtlingsgruppen sind meistens in der Nacht unterwegs. Tagsüber ist die Gefahr zu groß, entdeckt zu werden. Die chinesischen Grenzwachen schießen nämlich auch auf Kinder, wie ein Video des rumänischen Bergsteigers und Fotografen Sergiu Matei vom 30.September 2006 beweist.

Ohne Kinderdörfer keine Flüchtlingskinder?

Insgesamt leben derzeit mehr als 15.000 tibetische Flüchtlingskinder in nordindischen Kinderdörfern. Gäbe es diese Einrichtungen nicht, würden die Kinder vielleicht weiter bei ihren Eltern - oft sind es Nomaden - bleiben, meint der österreichische Reiseleiter und Ethnologe Hubert Fischer. Er lebt seit 25 Jahren in Dharamsala.

In den Dörfern des von China besetzten Tibet gibt es auch wenige Schulen, und wenn, dann nur schlechte. Da die Eltern um die Existenz der Kinderdörfer in Nordindien wissen, wollen sie ihren Kindern dort eine gute Bildung ermöglichen. Deswegen schicken sie ihre Töchter und Söhne nach Indien. Doch die Kinder sind entwurzelt, auch wenn sie in der Exilgemeinschaft der Tibeter leben. Er wüsste nicht, was er täte, wäre er an der Stelle eines tibetischen Vaters, sagt Fischer.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 10. Jänner 2007

Buch-Tipp
Maria Blumencron, "Flucht über den Himalaya. Tibets Kinder auf dem Weg ins Exil", Malik Verlag, ISBN 9783890292519

Links
Wikipedia - Dharamsala
Verein "Save Tibet"
Tibetan Children's Villages
Tibetan Institute of Performing Arts