Leser gegen Schlaumeier!

Fair Trade für Leser

Während für Nahrung aller Art bereits tolle Fair-Trade-Abkommen geschlossen wurden, bleiben orthografisch und grammatikalisch anspruchsvolle Leserinnen und Leser Stiefkinder der Globalisierung. Heute ein Plädoyer für ein neues altes Verlagskonzept.

Für mich ist das Lesen neuer Bücher, nicht erst seitdem die Taschenbücher der jungen Schlaumeier en vogue sind, sinnlos. Ich habe früher aus Interesse an gutem Stil, korrekter Grammatik und ebensolcher Orthografie gelesen. Zum Deutsch Lernen. Dass ich mich heute weigere, Neuerscheinungen zu lesen, und mich gelegentlich als hoch bezahlter Lektor verdinge, verdanke ich der Lektüre von sauber lektorierten Büchern. Meine Phantasie haben Bücher natürlich niemals angeregt, denn ich besitze keine Phantasie. Saubere Lektoren würden sofort ein rotes Strichlein oder auch eine Wellenlinie machen und anmerken, dass man Phantasie genau genommen nicht besitzen kann. Dankbar würde ich antworten: "Habt Mut, bleibt stark, spielt Lotto! Oder lest weiter."

In den meisten Literaturverlagen kennen die Leute das Wort Lektor nicht mehr. Es steht auch sicher in keinem Duden mehr (ich lese selbstverständlich auch keine Dudens, man hat das als Lektor alles im Kopf zu haben!), und mit dem Verschwinden des Wortes ist der Geist versiegt, der mir einst das Lesen von Büchern erst ermöglicht hatte. Man sagt auch leider nicht mehr "der Hund boll", und so sind die Hunde heutzutage extrem unkultiviert, träge und auch fahrlässig in der Anwendung ihres tatsächlich sehr feinen Stimmapparats. Sie keifen, brüllen und stänkern und haben keine Ahnung mehr von korrekter Aussprache. Bringen Sie mich nicht in Versuchung, übers Radio zu schreiben.

Ehemalige Politiker werden Chefs von Autofirmen oder Seilbahnen, managen unsympathische Clubs oder werden leidenschaftliche Meinungsforscher. Ehemalige Lektoren arbeiten subaltern als Werbtexter oder in der noch subalterneren Autovermietung, um nicht zu verhungern. Nach ihren Fähigkeiten besteht kein Bedarf. Klopft heute ein Lektor bei einem Verlag an, eilt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung herbei. Daher muss etwas unternommen werden. Erstens: Ich will wieder Bücher lesen, anstatt die ersten fünf Seiten rot zu kritzeln und sie dann zum Altpapier zu tun. Zweitens: Die Lektoren sollen nicht verhungern und schon gar nicht als Werbetexter arbeiten! Das sollten Leute machen, die in diesem Leben etwas anzubüßen haben. Ich zum Beispiel.

Lotto ist nichts für Lektoren. Es sind ernsthafte Menschen, die nichts auf den Zufall geben. Würden sie dies tun, müsste man ihnen einen Professor Zeilinger nachreihen, der den Zufall wieder ausschaltet. Aber vielleicht ist in zehn Jahren nicht nur der verdammte Quantencomputer fertig, sondern auch das Lotto zufallsfrei, dann werden wir darauf zurückkommen. Vorerst sollten wir uns der Aufgabe widmen, den arbeitslosen Lektoren wieder Arbeit zu verschaffen, damit ich wieder Neuerscheinungen lesen kann. Ich wäre zum Beispiel nicht uninteressiert an einem kleinen Aufpreis für blütenrein lektorierte Bücher. Fair Made. Die Lektoren sollen unter menschenwürdigen Verhältnissen ihrer Arbeit nachgehen können und anständig entlohnt werden. Dafür zahlt man gerne ein paar Cent mehr. Das gab es doch früher auch!

Wenn es aber so kommt wie beim Kaffeeautomaten unten im Funkhaus, können wir auch dieses Modell vergessen: Dort kostet der fair gehandelte Kaffee um fünf Cent mehr als der unfaire, der dafür aus frisch gemahlenen Bohnen zubereitet wird, während Ersterer aus stinkigem Pulver gemacht wird. Wie absurd das wäre: Lektoren, die nur Taschenbücher von überschätzten jungen Schlaumeiern lektorieren dürfen.