Gedanken zum hektischesten Fest des Jahres

Last Minute Weihnachten

Vier Tage noch bis zum Point Zero! Hab ich alles? Der Christbaum ist eingekauft, der Essensplan aufgestellt, bis auf Salat, Gemüse und Obers hab ich alles im Haus, die Keksi sind gebacken, die Geschenke eingepackt - warum freue ich mich denn nicht?

O nein, es ist nicht jedes Jahr dasselbe! Es wird im Gegenteil jedes Jahr schlimmer. Vielleicht hat das etwas mit dem Älterwerden zu tun, oder damit, dass ich keine Kinder habe, aber Weihnachten wird immer mehr zum Alptraum. Das beginnt schon damit, dass jedes Jahr ein wenig früher das Weihnachtszubehör zu erwerben ist - heuer war es Ende August, als in meinem Supermarkt die ersten Lebkuchen auftauchten.

Und ich weiß aus leidvoller Erfahrung: wenn ich nicht gleich dann, wenn die ersten Nikoläuse, Krampusse und Neujahrsschweinderln angeboten werden, zuschlage, dann krieg ich keine mehr, wenn der Zeitpunkt des Verschenkens gekommen ist. Haben Sie schon einmal versucht, am Krampustag einen Krampus einzukaufen? Das ist so gut wie unmöglich, jedenfalls in der Provinz und zu halbwegs vernünftigen Preisen.

Ich habe also Ende August angefangen, eine Geschenkliste zu schreiben. Die sieht dann meistens so aus: eine Reihe von Namen, daneben Büchertitel oder Sachgebiete. Nun ja, ich verschenke seit mindestens siebenhundertachtundneunzig Jahren Bücher, man mag mich darob einen einfallslosen Menschen schimpfen, oder "so ein Lulu", aber das ist mir wurscht. Bücher sind für mich nun einmal ein kleines Eckchen Welt, das man ganz für sich alleine besitzt, also verschenke ich Weltsplitter. Und glauben Sie mir, es ist gar nicht so einfach, jedem Lieben das richtige Splitterchen zuzuordnen!

Nur hat mich dieses Jahr die nackte Angst gepackt. Nicht, dass ich meinen Lieben zutrauen würde, dass sie mich "ein Lulu" schimpfen - was, Sie kennen das noch nicht? Das hässlichste Gesicht des Kapitalismus in Österreich? Jemand kommentiert ein Geschenk, das man ihm soeben überreicht hat, mit den absolut abfälligsten Bemerkungen, die in der Aussage gipfeln: "Du bist so ein Lulu!" Dann kommt ein hämisches "… und dann fiel ihm der Kopf ein!" und eine Stimme mit dem Klang eines kehlkopfkranken Uhrkuckucks ruft "Blödmann!" Es wundert mich, dass diese in ihrer Geschmacklosigkeit und Menschenverachtung unübertroffene Werbespotserie noch nicht abgestraft wurde. Aber wie ich "meine Pappenheimer" einschätze, wird dieses Machwerk sicherlich noch mit einem Goldenen Hammer für die wirkungsvollste Werbung des Jahres ausgezeichnet werden!

Also soll ich nun dem X, der immer behauptet, er wäre ein Cineast, wirklich dieses neue Fellini-Buch schenken? Ein Traum von einem Buch! Handgeschrieben, vom Maestro selbst gezeichnet, original italienisch, mit Übersetzung und Kommentar - und einer spannenden Geschichte, denn die sechs Erben hatten das Original nach Fellinis Tod in einen Banksafe gelegt und verfügt, dass der Safe nur im Beisein aller sechs wieder geöffnet werden dürfe. Und? Klingelt es? Können Sie sich vorstellen, wie viele Mühen es bedeutet, zwölf Jahre später alle sechs beziehungsweise deren Erben, die in aller Welt verstreut leben, zusammen zu holen? "Il libro dei SOGNI" konnte, nach vielen Schwierigkeiten, doch publiziert werden. Aber das Buch hat den Nachteil, dass es etwa so groß und so schwer ist wie ein kleines Unterhaltungselektronikgerät, also eingepackt falsche Erwartungen erwecken könnte. Was tun?

Oder die Y, eine Meisterköchin, die ihre Pasta grundsätzlich selber wutzelt, aber den Nachteil hat, dass sie alles, was ihr Hörbares unter die Finger kommt, sofort auf einen kleinen Computerstick spielt, von dem sie behauptet, dass das Ding die beste Erfindung seit der Pasta-Maschine wäre. Neinnein, ich weiß schon, wie das Ding heißt, aber ich habe ihr per Androhung von Hausverbot untersagt, die Bezeichnung jenes Dings jemals wieder in meinem Beisein zu erwähnen, nachdem sie mich wie ein Zeuge Jehova zur Benutzung desselben missionieren wollte. Kann ich es wagen, ihr das netteste italienische Kochbuch zu schenken, das mir in der letzten Zeit zugelaufen ist? Mit Pastarezepten, die noch nicht einmal ich kenne! Und ich kenn mich aus, war ich doch mehrfach Gast im Restaurant jener Dame, die in Italien als Vestalin der Pasta gefeiert wird!

Und kann ich es wagen, meinem geliebten Bruder das ultimative Männerbuch zu schenken, das alles beinhaltet, was ein Mann können muss? Eine Boeing 747 landen, die richtigen Schuhe tragen, ruhig bleiben, wenn sie Auto fährt, sich einen Hund zum Freund machen, einen Kater kurieren, den einen Cocktail zu bereiten, den man können muss - und ähnliche männliche Sachen. Mein Bruder ist Fünfzig. Vielleicht ein wenig spät, als Geschenk. Ich glaube, das meiste, das hier drin steht, hat er eh drauf. Vielleicht schenke ich es seinem Sohn …

Oder ich behalte mir alle Bücher selber, stelle mich am Wochenende hin, bereite hausgemachte Schokotrüffel und sonstige kleine Schweinereien zum Verzehr - und werde dann erst recht, wenn auch unhörbar, als "Lulu" beschimpft?

Wissen Sie, was ich mir wünsche? Dass Weihnachten so kuschelig und schön und friedlich wird wie damals, als ich 10 minus war. Aber das wird es auch heuer nicht, schon alleine, weil ich mittlerweile 50 plus bin, und da ist nichts so wie vor gut vierzig Jahren.

Buch-Tipps
Federico Fellini, "Das Buch der Träume. Il libro dei SOGNI", Collection Rolf Heyne

Antonio Carluccio, "italienisch einfach kochen", Collection Rolf Heyne

Eduard Augustin, Philipp von Keisenberg & Christian Zaschke (Hgs.), "Ein Mann. Ein Buch", Süddeutsche Zeitung Edition