"Wenig Geld ist nur ein Teilaspekt"
Was ist wirklich Armut?
In Österreich haben etwa 300.000 Menschen nicht mehr als 600 Euro zur Verfügung: Sie werden von Experten als arm oder massiv armutsgefährdet bezeichnet. Letzte Woche fand im RadioKulturhaus ein "Standpunkt" mit Schüler/innen zu diesem Thema statt.
8. April 2017, 21:58
Am 17. Februar fand im RadioKulturhaus im Funkhaus des ORF in der Argentinierstraße in Wien die Veranstaltung "Standpunkt" statt. Es diskutierten 250 Schülerinnen und Schüler mit der Schuldirektorin Ursula Huber, der Psychologin Iris Freinbichler und dem Sozialexperten Martin Schenk zum Thema "Armut" in Österreich. Wie definiert man Armut, wo wird sie manifest? "Standpunkt" ist eine gemeinsame Veranstaltung vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, vom Kurier und vom ORF. Organisiert wird diese Podiumsdiskussion von KeyKontakt PR.
Wenig Geld und ein schlechtes Leben
Beim Versuch Armut zu definieren, nähern sich die drei Experten auf dem Podium von verschiedenen Seiten. "Richtige Armut", findet Iris Freinbichler, kann man sich in Österreich schwer vorstellen. Sie ist Beraterin des Notrufes "Rat auf Draht" für Kinder und Jugendliche. Die meisten Anruferinnen und Anrufer sind zwischen 11 und 14 Jahren alt. Anzeichen von Armut bemerkt sie im Rahmen ihrer Tätigkeit eher indirekt: Wenn Jugendliche über Schulprobleme klagen und beim Vorschlag, vielleicht Nachhilfestunden zu nehmen, gestehen, dass das finanziell nicht leistbar ist.
Ursula Huber, Direktorin der "Offenen Kooperativen Mittelschule Enkplatz" in Wien orientiert sich bei ihrer Einschätzung an den Mindeststandards für ein menschenwürdiges Leben. "Arm", sagt sie, "ist jemand, der sich Wohnung, Nahrung, Heizung und Kleidung nicht mehr leisten kann." Im Rahmen ihrer Tätigkeit bemerkt sie es daran, dass manche Schülerinnen und Schüler ihr einziges warmes Essen beim Mittagessen in der Schule bekommen. Und an der Kleidung, wenn Jugendliche im Winter nicht entsprechend warm angezogen sind.
"Wenig Geld zum Leben ist nur ein Teilaspekt", erklärt Martin Schenk, Mitbegründer des österreichischen Anti-Armutsnetzwerkes, bekannt unter dem Begriff "Armutskonferenz". In Kombination mit "einem schlechten Leben" müsse man von Armut sprechen. "Wenig Geld haben" in einem Land wie Österreich, also zum Beispiel 500 bis 600 Euro pro Monat, könne in einem Land der Dritten Welt durchwegs eine gute finanzielle Basis sein. In Österreich hätten etwa 300.000 Menschen nicht mehr als 600 Euro zur Verfügung, diese seien als arm zu bezeichnen, oder seien massiv armutsgefährdet, so Schenk.
Das Publikum spricht mit
Die Schülerinnen und Schüler haben sich im Vorfeld der Diskussion gründlich vorbereitet. Über dreißig Wortmeldungen, Fragen aber auch Statements zum Thema geben Zeugnis davon ab, wie ernsthaft die Jugendlichen sich damit beschäftigen. Sie fragen nach geeigneten Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut, beklagen "soziale Ausgrenzung" von armen Mitschülern, die sich teure Designerstücke nicht leisten können und wollen wissen, warum Lebensmittel, deren Verbrauchsdatum noch nicht abgelaufen ist, weggeschmissen werden.
Hör-Tipp
Die gesamte Diskussion kann auf dem Webradio oe1campus nachgehört werden: Montag, 22. Februar bis Mittwoch, 24. Februar 2010, jeweils 19:30 Uhr bis 20:00 Uhr.
Mehr dazu in oe1campus
Buch-Tipps
Martin Schenk und Michaela Moser, "Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut", Deutike Verlag
Lutz Holzinger und Hansjörg Schlechter, "Das Gespenst der Armut: Reportagen und Analysen zur Kritik der sozialen Vernunft", Edition Steinbauer
Links
Schülerradio
kiku.at
147 Rat auf Draht
Armutskonferenz