Wie ködert der Handel seine Kunden?
Verführung im Supermarkt
Gerade zur Weihnachtszeit ist die harte Konkurrenz der großen Handelskonzerne im Lebensmittelbereich deutlich sichtbar. Der tägliche Einkauf wird zum Erlebnis hochstilisiert, wobei in erster Linie der Blick auf die Waren den Griff ins Regal auslösen soll.
8. April 2017, 21:58
Peter Schnedlitz über Werbestrategien
Das Weihnachtsgeschäft läuft auf vollen Touren. Geschenke dürfte es heuer mehr geben als in den Jahren zuvor. Aber Weihnachten beschert uns heuer auch vier freie Tage, von denen nur einer ein Einkaufstag ist. Und da wollen Kühlschrank, Tiefkühltruhe und gegebenenfalls auch der Weinkeller wohl gefüllt sein.
Die Global Players
REWE mit Billa, Merkur und Penny, dann SPAR und Hofer - diese drei Großkonzerne teilen sich gut zwei Drittel des 14-Milliarden-Euro-Marktes mit Lebensmitteln. Und die Verkaufsstrategen der großen Handelskonzerne wissen: Einkaufen im Supermarkt ist weniger lustig, als Geschenke für die Lieben auszusuchen; es ist meist Pflicht und weniger Vergnügen.
Die Konkurrenz ist hart, das zeigen die regelrechten Werbeschlachten, die die Großen einander liefern. Und so lassen sie sich eine Menge einfallen, um die Kunden nicht nur mit Sonderangeboten anzulocken. Sie inszenieren den täglichen Einkauf zum Erlebnis, und sie greifen tief in die psychologische Trickkiste, unterstützt von der Wissenschaft.
Der Eindruck von Frische
Vor uns breitet sich die Obst- und Gemüseabteilung aus. Die Ware türmt sich appetitlich in hüfthohen Körben. "Obst und Gemüse in Weidenkörben sollen einen nostalgischen Marktplatz ebenso darstellen wie Frische suggerieren", sagt Peter Prisching, Shop-Designer bei Österreichs führendem Ladenbauer Assmann in Leibnitz in der Steiermark. Der Kunde müsse sich in einem Geschäft gut und leicht zurechtfinden, betont er.
Beim ersten Überblick helfen oft so genannte "In-Store-Grafiken"; das sind überlebensgroße Fotos typischer Produkte: zum Beispiel grüne Äpfel über der Obstabteilung oder blau schimmernde Eiswürfel über den Tiefkühlregalen. Im Lebensmittel-Handel ist der Eindruck von Frische besonders wichtig. 40 Prozent des Umsatzes machen Supermärkte mit Frischeprodukten. Die Zahl der Kühlbereiche mit Halbfertigprodukten in den Geschäften nimmt ständig zu.
Marktplatz-Atmosphäre
Früher führte der Weg vom Eingang zu den Kassen labyrinthartig durch möglichst viele Gänge des Supermarktes. "Dieses System der Zwangsführung funktioniert heute nicht mehr", erklärt Handelswissenschaftler Peter Schnedlitz: "Die Kunden sollen sich fühlen wie auf einem zwanglos gestalteten Einkaufsbummel von einem Marktplatz zum anderen."
Marktplatz-Atmosphäre entsteht auch durch niedrigere Regale. So kann man Teile des Geschäftes überblicken. Auch Beleuchtung wird bewusst eingesetzt: Gold-Filter schmeicheln Obst und Brot; rötliche Lampen rücken Fleisch und Wurst ins rechte Licht.
Aktionswaren in Augenhöhe
Die beidseitigen Regale in Supermärkten werden Gondeln genannt. Die Gondel-Köpfe, das sind die kurzen Seiten am Ende der Gänge, werden oft zur Präsentation von Aktionswaren genützt und dienen auch der Orientierung. Im Gang selbst fällt unser Blick fast automatisch auf die Waren in Augenhöhe - auf die so genannte Sichtzone. Direkt darunter liegt die Greifzone: Das sind die begehrtesten Plätze im Regal.
Beim Kunden - oder viel öfter bei der Kundin - geht es auch um die konkrete Auswahl. Peter Schnedlitz weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass heutzutage die Aufmerksamkeit ebenso auf die Produkte rund um den eigentlichen Artikel gelenkt wird. Etwa: Habe ich auch die Milch zum Kaffee, oder brauche ich nicht auch eine Krawatte zum Hemd?
Designertricks
Mit welchen psychologischen Tricks die Fantasie der Kunden angeregt wird, zeigen beispielsweise Weinregale: "Ein dunkler Holzboden, edle Beleuchtung und Lisenen - schmale, hölzerne Pfeiler zwischen den Flaschen - signalisieren, dass hier hochwertige Produkte präsentiert werden", erläutert Peter Prisching.
Zwischen den Regalen lockt ein Computer-Bildschirm, mit dem man Informationen über die Weinsorten abfragen kann: "Solche Angebote lassen bei den Kunden zusätzliche Bedürfnisse entstehen und steigern so den Umsatz des Handels", meint der Shop-Designer.
Neugier erwecken
Etwa 8.000 Artikel bietet ein mittelgroßer Supermarkt an. Um die Aufmerksamkeit der Kunden zu erregen, nennt Wirtschaftsprofessor Schnedlitz zwei wichtige Beispiele: "Nichts ist wirksamer als Preisaktionen, also 'Minus 30 Prozent', oder so. Und dann kommt 'Neu', zum ersten Mal etwas versuchen. Damit soll die Neugier der Kunden erweckt werden."
Auch bei der Platzierung von großen Mengen eines Produkts an einem Platz entstünde für den Kunden automatisch der Eindruck, dass es sich um eine Aktion handle: "Der Umsatz kann so deutlich steigen, auch wenn es gar keine Aktion ist. Für eine besonders gute Platzierung bezahlen die Hersteller dem Handel auch viel", informiert Schnedlitz.
Kundenbetreuung
Wenn man die Kunden befragt, warum sie im Supermarkt einkaufen, steht vor allem die Bequemlichkeit und die Zeitersparnis im Vordergrund. Wesentlichen Anteil für ein angenehmes Ambiente haben aber auch die Mitarbeiter. Sie bestimmen die Atmosphäre im Geschäft: "Das wird oft unterschätzt", sagt Peter Schnedlitz. Die Stimmung des Personals schlage auf die Stimmung der Kunden um: "Selbst wenn der Kunde nur an der Kassa freundlich angesprochen wird, verbessert sich seine Laune", so der Wirtschaftswissenschaftler.
Im Kassabereich ist es besonders wichtig, dass sofort zusätzlich Kassen besetzt werden, wenn sich Schlangen bilden. Hier haben Kunden und Handel dasselbe Interesse: Das Zahlen soll so schnell wie möglich gehen.
Der Einkauf als Spiegel des Lebensstils
Der Handel will auch erreichen, dass die Kunden den Kassabereich so schnell wie möglich verlassen. Ein Test hat gezeigt: Je kürzer die Strecke nach dem Scanner ist, desto schneller räumen die Kunden ein und beschleunigen damit indirekt auch die Frequenz an der Kassa.
Die Größe der Einkaufswagen sage auch viel über die Lebensgewohnheiten einer Gesellschaft aus, weiß Professor Schnedlitz: "Wird nur einmal pro Woche auf Vorrat eingekauft wie in den USA oder täglich frisch wie in Japan, wo die Wohnungen ebenso klein sind wie die Kühlschränke? Sind viele Frauen berufstätig und daher schnell oder hektisch zwischen den Regalen unterwegs oder lassen sie sich Zeit? Der Einkauf ist ein Spiegel für Kultur, Lebensstil und soziale Lage einer Gesellschaft."
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 15. Dezember 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
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Links
WU Wien - Institut für Handel und Marketing
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Billa
SPAR
Hofer