Die besten Reiseerzählungen seit langem

New Wave

Mit seinem Debütroman "Faserland" hat Christian Kracht vor elf Jahren ungewollt der deutschen Popliteratur die Initialzündung geliefert. In seinem neuen Buch versammelt Kracht nun Essays, Reportagen und vieles mehr aus den letzten sieben Jahren.

"New Wave" beinhaltet eine beeindruckende Vielfalt literarischer Genres: Erzählungen, diverse Briefwechsel und Gespräche mit befreundeten Schriftstellern, Fragmente einer Drehbuchfassung seines Debütromans "Faserland", sowie Bruchstücke seines ersten Theaterstücks, das ursprünglich am Hamburger Thalia Theater uraufgeführt hätte werden sollen, dann aber auf Grund künstlerischer Differenzen abgesagt wurde. Kernstück aber, wenn man so will, sind in "New Wave" die Reisereportagen, in denen sich Krachts sprachliche Virtuosität voll entfalten kann.

Interaktive Besuche

Der Autor selbst umschreibt seine Reisen als Besuche. Besuch, das würde mehr nach sozialer Interaktion klingen und viel netter als Reise, denn Reise, das habe was von einem ungefragten Eindringen in die Fremde. Und obwohl Kracht per se ein Fremder ist für die Menschen, die er trifft: Egal, wo er auch kurz stehen bleibt auf diesem ewig schwankenden Globus, gelingt ihm scheinbar mühelos eben jene von ihm angestrebte soziale Interaktion.

Für den mitteleuropäischen, durchschnittlich reiseerfahrenen Leser wirken seine Eskapaden auf der Faktenebene oft wie der Eingang zur Hölle. Kracht hingegen destilliert mit einem fürsorglichen Lächeln auf den Lippen in Hotelzimmern auf der ganzen Welt aus seinen Erlebnissen Geschichten, die - so will es uns die Dichtkunst des Christian Kracht glauben machen - ähnlich energetisch Kraft raubend sind wie ein Parkspaziergang.

Dort unten lagen Anatolien, Kurdistan und nach einer Weile das iranische Plateau, die perfekte Symmetrie der Stadt Meshed zog rasch vorbei, dann endlich immer gleich bleibende, braun- und ockerfarbene Ödnis, als sei eine staubige Decke sanft über die Welt gelegt worden; ewig gleiche Berge, wie Wellenkämme auf einem dreckigbraunen Meer, manchmal war von oben Schnee auf den Bergspitzen zu sehen, doch auch dieser war schmutzig und mit achtlos verteilten Felsen besprenkelt wie Pfefferkörner auf Salzhügeln, das war Afghanistan.

Schweizer Käse in der zentralasiatischen Steppe

Leichtfüßig, elegant, selbstironisch und poetisch-zärtlich beschreibt Kracht Menschen und Orte, deren Lage viele Mitteleuropäer nicht mal annähernd auf der Landkarte zu zeigen wüssten. Die Schatten lauern hinter Formulierungen wie "kristalline Pracht des Anorganischen", wenn ihn - verzückt über den ersten Schneefall des Winters - naseblutend die Nebenwirkungen des Fastens würgen.

Die Situationskomik generiert sich aus lapidaren, protokollarischen Schilderungen, wie etwa des ersten und letzten Einlaufs in des Autors Leben: "Schmerzen, da der Stutzen einige Scharten aufweist". Dazu zwitschern Vögel in den Bäumen. Im mongolischen Abenteuer heißt es:

Ich dachte an die wundersamen Zusammenhänge in der Welt, ich dachte daran, dass ich mitten in dieser zentralasiatischen Steppe Schweizer Streichkäse an eine mongolische Ziege verfütterte; der Käse war ja quasi von ihren Artgenossen hergestellt worden, nun schloss sich also ein großer Milchproduktekreis. Alles, so schien mir plötzlich, war miteinander verwandt, engstens vertraut und schon immer Teil eines untrennbaren Ganzen gewesen.

Solitär im Literaturbetrieb

Es ist sicher Gewinn bringend, sich auf Krachts Texte einzulassen. Dort trifft man eine dichterische Qualität, die aus der Lawine der Veröffentlichungen im deutschsprachigen Literaturbetrieb wie ein Solitär herausragt, wie man im vorliegenden Sammelband "New Wave" nachlesen kann. Den schönsten Augenblick, den Kracht in der Textsammlung "New Wave" erlebt, fasst er in folgenden Satz:

Es war ein Morgen aus Glas, an dem alles schmerzt, so schön war es anzusehen.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Christian Kracht, "New Wave. Ein Kompendium 1999-2006 ", Verlag Kiepenheuer & Witsch, ISBN 3462037234