Cap Anamur: Politischer Sprengstoff bis heute
Vom Umgang mit Flüchtlingen
Vor zwei Jahren erregte ein Flüchtlingsdrama im Mittelmeer Aufsehen: Die "Cap Anamur", ein humanitäres Hilfsschiff, rettet 37 schiffbrüchige Flüchtlinge aus Afrika und wird dafür von italienischen Behörden verfolgt. Jetzt beginnt ein Gerichtsverfahren.
8. April 2017, 21:58
Elias Bierdel zur Anklage und deren Folgen
Vor zwei Jahren ging ein maritimes Flüchtlingsdrama um die Welt: Das humanitäre Hilfsschiff Cap Anamur birgt auf offener See 37 schiffbrüchige Flüchtlinge aus Afrika und löst damit eine europaweite politische Krise aus. Nun muss sich der Leiter der damaligen Rettungsaktion in Süditalien, Elias Bierdel, wegen Schlepperei verantworten.
Die Hilfsorganisation Cap Anamur
Das Komitee Cap Anamur ist eine Hilfsorganisation, die in den 1980er Jahren gegründet wurde, um Flüchtlingen auf hoher See zu helfen. Am Anfang standen die vietnamesischen Boat-People, die über das südchinesische Meer in die Freiheit entkommen wollten. Aufgrund des großen Zuspruchs in der deutschen Bevölkerung weitete das Komitee seine Projekte bald auf die ganze Welt aus und war mit einem Ärzteteam auch in Afrika, Asien und später auch dem Kosovo und Bosnien tätig.
Ins schiefe Licht geriet die Hilfsorganisation im Jahr 2004. Damals hatte der ehemalige Journalist und ARD Korrespondent Elias Bierdel die Leitung übernommen. Das Komitee hatte ein eigenes Schiff - die Cap Anamur - gekauft. In Absprache mit dem UNHCR sollten Hilfslieferungen transportiert und heimkehrwillige Bürgerkriegsflüchtlinge aus Liberia nach Hause gebracht werden.
Das Flüchtlingsdrama
Am 20.Juni erreicht den an Land befindlichen NGO-Vorsitzenden Bierdel ein Anruf: Seine Mannschaft hatte ein sinkendes Schlauchboot mit 37 afrikanischen Flüchtlingen geborgen. Was dann folgte, war ein sich über Wochen hinziehender medialer und politischer Skandal: Das Schiff war tagelang mit den Flüchtlingen unterwegs.
Nachdem Elias Bierdel gemeinsam mit zwei interessierten Journalisten an Bord gegangen war, tat man sich anfangs schwer, einen Hafen zu finden, der für das Schiff groß genug war. Es war ein Herumirren, das von den Medien später scharf kritisiert werden sollte. Schließlich erhielt das Schiff eine Einlaufgenehmigung im sizilianischen Porto Empedocle - eine Genehmigung, die jedoch bald darauf zurückgezogen werden sollte.
Danach folgte ein Nervenkrieg mit den italienischen Behörden. Die Medien beschuldigten Bierdel, aus dem Flüchtlingsdrama eine PR-Aktion für die Cap Anamur veranstalten zu wollen. Die deutsche und italienische Politik wollte ein Exempel statuieren und ließ die Flüchtlinge vorerst nicht von Bord. Als das Schiff schließlich einlaufen konnte, wurden die Afrikaner festgenommen und rasch ohne formales Verfahren abgeschoben.
Anklage wegen Schlepperei
Elias Bierdel ist damals sogar kurze Zeit festgenommen worden. Jetzt ist er in Sizilien wegen Schlepperei angeklagt. Er und auch der damals mit an Bord befindliche Fernsehjournalist Martin Hilbert verstehen die Welt nicht mehr: Die Medien thematisierten damals nicht das große Sterben auf hoher See und die Untätigkeit der Politik. Thema war viel mehr, ob Bierdel Selbstinszenierung betrieben hätte oder warum er nicht professioneller vorgegangen war und nicht rascher einen passenden Hafen gefunden hatte.
Journalist Hilbert rekonstruiert heute die damals erfolgte mediale Schmähkampagne, in die alle bedeutenden deutschen Medien und auch Nachrichtenagenturen einstimmten: Recherchiert wurde bei den Augenzeugen wenig bis gar nicht. Alle großen Medien inklusive den wichtigen deutschen Qualitätszeitungen verließen sich auf die Darstellungen der deutschen und italienischen Behörden. Diese verbreiteten damals Unwahrheiten über die Rettungsaktion, um Bierdel und später auch Hilbert zu diskreditieren.
Ende einer Rettungsfahrt
Im Buch "Ende einer Rettungsfahrt findet man einige dieser Unwahrheiten rekonstruiert und widerlegt - beispielsweise ein Facsimile des inoffizielles Schreibens der deutschen Behörde, in dem behauptet wird, Journalist Hilbert sei über Malta geflogen, als er an Bord der Cap Anamur ging.
Das Schreiben ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in den Medien damals behauptet wurde, die Cap Anamur hätte die Bootsflüchtlinge vor der maltesischen Küste aus dem Wasser gefischt, um sie hernach auf hoher See wieder ins Wasser zu lassen. So habe man sie effektvoller bei der Rettungsaktion filmen wollen. Daneben ist das Fluckticket Hilberts abgedruckt, das bescheinigt, dass dieser - entgegen der behördlichen Behauptung - über Tunesien geflogen ist.
Gerichtsverfahren eröffnet
Offizielle Stelllungnahme zu diesem Widerspruch gab es von offizieller deutscher Seite bisher nicht - mit dem Hinweis, dass es sich um ein laufendes Verfahren handle. Denn nun hat das Gerichtsverfahren in Sizilien begonnen. Angeklagt sind der ehemalige Cap-Anamur-Kapitän Stefan Schmidt, sein erster Offizier und Elias Bierdel selbst. Die Anklage lautet auf "Beihilfe zur illegalen Einreise" (Schlepperei) in einem "besonders schweren Fall" - und das "bandenmäßig betrieben" (organisierte Kriminalität).
Sollte es zur Verurteilung kommen, drohen den Angeklagten bis zu zwölf Jahre Haft. Der Prozess vor der großen Strafkammer im Justizpalast von Agrigento wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach über mehrere Jahre hinziehen. In der Zwischenzeit protestieren zahlreiche Menschenrechtsorganisationen gegen dieses Verfahren. Heute schon fahren Schiffe täglich an Flüchtlingsbooten vorbei, aus Sorge darüber, Probleme mit der Behörde zu bekommen. Der Fall Cap Anamur hat seine abschreckende Wirkung offenbar nicht verfehlt. Doch die Widersprüche in der medialen Berichterstattung und im Verhalten der Behörde werden nun auch immer mehr offenbar. Cap Anamur bedeutet Sprengstoff. Bis heute.
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 11. Dezember 20o06, 18:25 Uhr
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Komitee Cap Anamur