Nur Pflichten und keine Rechte
Ausgebeutete Gäste
"Wir suchen vier Mauerer und fünf Schlosser." Solche Bestellungen treffen ab Mitte der 1960er Jahre an den österreichischen Gastarbeiter-Anwerbestellen in Jugoslawien und der Türkei mehrmals täglich ein. Viele glauben an das Goldene Tor zum Westen.
8. April 2017, 21:58
Viele Arbeiter erblickten in den Gastarbeiter-Anwerbestellen ihres Landes in den 1960er Jahren das Goldene Tor zum Westen. Doch in Österreich erwartet sie alles andere als ein goldenes Leben - im Gegenteil.
Die prekäre Lage der Arbeitsmigranten wird oft schamlos ausgenutzt. Die den ausländischen Arbeitern und Arbeiterinnen im Rahmen der bilateralen Anwerbeabkommen vertraglich zugesicherten Reche werden nicht eingehalten - etwa das auf einen den landesüblichen Verhältnissen angemessenen Wohnplatz.
Kaum Quartiere und hohe Mieten
"Auf engstem Raum zusammengedrängt, teilen sich oft über zehn Personen ein kleines Zimmer, in dem der Verputz von den Wänden bröckelt. Feuchter Schimmel macht sich breit. Ein kleiner Kochherd ist oft die einzige Wärmequelle. Die Zimmer sind lediglich mit Stockbetten ausgestattet, das Klo am Gang teilt man sich mit den anderen, fließendes Wasser gibt es lediglich im Hof", so wurden in der ORF-Jugendsendung "Kontakt" die Lebensbedingungen der damals als Gastarbeiter bezeichneten Personen beschrieben.
Nur wenige sind bereit, den Arbeitsmigranten und -migrantinnen Quartiere zur Verfügung zu stellen. Findige private Vermieter kommen so noch leichter zu schnellem Geld. Mit minimalem Aufwand lassen sich so leicht bis zu 30.000 Schilling im Monat verdienen.
Staatlich organisierte Billigarbeitskräfte
Die Wurzeln der zwischenstaatlich organisierten Arbeitsmigration nach Österreich gehen auf das Jahr 1961 zurück. Damals setzen im so genannten Raab-Olah Abkommen die Bundeswirtschaftskammer und der Österreichischem Gewerkschaftsbund erste Kontingentvereinbarungen für die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer fest.
Der Migrationssoziologe Christoph Reinprecht von der Universität Wien: "Zunächst versuchte man, italienische und spanische Arbeiter und Arbeiterinnen nach Österreich zu locken. Vergeblich. Deshalb beginnt man mit dem Anwerben von Personen aus Jugoslawien und der Türkei."
Ohne Rückendeckung
Die Billigarbeitskräfte aus dem Süden hatten keine Lobby hinter sich - sie waren auf sich allein gestellt. Seitens der Politik kam es lediglich zu moralischen Appelle an die Vermieter und Betriebsleiter.
"Die Versuche der ausländischen Arbeitsmigranten, sich in den Betrieben zu organisieren, werden von den Unternehmern und der Gewerkschaft unterbunden", so Reinprecht. Als 1965 jugoslawische Arbeiter eines Betriebs in der Steiermark streiken, werden sie in ihr Herkunftsland abgeschoben. Der Österreichische Gewerkschaftsbund, der an sich die Rechte aller Arbeiter schützen sollte, sah tatenlos zu.
Folgen bis heute
Im Rahmen des Familiennachzugs folgen in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Frauen und Kinder ihren bereits vor Jahren nach Österreich emigrierten Männern. "Sobald angekommen, sehen sie sich jedoch mit mehr Verboten als Rechten konfrontiert", erzählt Alev Korun, heute Fachrätin für Migration bei den Wiener Grünen und lange Zeit in der Migratinnenberatung tätig.
So manche strukturelle Diskriminierung hält sich bis heute. Zunächst wurde den nachkommenden Frauen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. "Und dann, unter dem Vorwand, dass Sie eh nur zu Hause sind, ihren Kindern keine Plätze in Kindergärten zur Verfügung gestellt. Diese konnten dann bei Schuleintritt oft kein Wort Deutsch."
Heinz Fassmann spricht in diesem Zusammenhang von "einem traurigen Erbe der Gastarbeit". Denn auch die zweite und dritte Generation der Zuwanderer und Zuwanderinnen aus der Türkei und Jugoslawien fährt nur geringe Bildungserfolge ein: "Besonders bei Mädchen und jungen Frauen ist die Situation prekär."
Mehr zur aktuellen Diskussion um den Integrationsbericht in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 16. Jänner 2008, 19:05 Uhr
Buch-Tipps
Hakan Gürses, Cornelia Kogoj, und Sylvia Mattl, "Gastarbajteri - 40 Jahre Arbeitsmigraton", Mandelbaum Verlag
Heinz Fassmann (Hg.), "2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht", Drava Verlag
Link
Gastarbajteri - Ausstellung