Douglas Coupland über Einsamkeit
Eleanor Rigby
Seit 15 Jahren gehört Douglas Coupland zu den wichtigsten jungen nordamerikanischen Autoren. In seinem neuen Roman präsentiert er zwei Ausgestoßene, die sich aneinander klammern und allen widrigen Umständen zum Trotz ihr Glück im jeweils anderen finden.
8. April 2017, 21:58
Ich heiße Liz Dunn. Ich war nie verheiratet, bin Rechtshänderin und habe tiefrote, widerspenstige Locken. Vielleicht schnarche ich, vielleicht auch nicht - es hat nie jemanden gegeben, der mir das hätte sagen können.
42 Jahre ist Liz alt, dick ist sie und einsam ist sie. Und wie die meisten einsamen Menschen hat sie sich einige Schrulligkeiten zugelegt. Die, ihre E-Mails mit "eleanor rigby" zu unterschreiben, ist noch eine der harmlosesten. Sie war nie verheiratet und Freunde hat sie auch keine. Ihr einzig interessantes Erlebnis hatte sie als Kind. Da fand sie neben dem Bahndamm einen toten Transvestiten.
Aus der Lethargie gerissen
Liz lebt ihr Leben antriebslos vor sich hin und so würde es wohl noch bis zu ihrem Tod weitergehen, wenn nicht ein Anruf sie aus ihrer Lethargie reißen würde. Das Krankenhaus der Stadt ist am Apparat und erklärt, dass man gerade einen jungen Mann wegen Drogenmissbrauchs aufgenommen habe. Dieser trägt ein Band mit der Adresse von Liz am Handgelenk.
Der junge Mann heißt Jeremy und ist Liz' Sohn. Vor fast 25 Jahren - knapp 16 Jahre alt - unternahm Liz eine Klassenfahrt nach Italien, lernte dort weniger Kultur und Sprache, dafür die italienischen Männer umso besser kennen.
Das Beste am Jungsein ist, dass man dumm ist. Besser gesagt, das Beste am Jungsein ist, dass man zu dumm ist, um zu wissen, wie dumm man wirklich ist.
Es kam, was kommen musste, und neun Monate später gebar der Teenager einen Sohn. Der kam zu Pflegeltern. Und nun, gut zwei Jahrzehnte später, steht dieser junge Mann vor ihrer Tür. Hübsch ist er - und sehr krank. Jeremy leidet an Multipler Sklerose. Lange hat er nicht mehr zu leben, aber die wenige Zeit will er mit seiner leiblichen Mutter verbringen.
Immer wieder Einsamkeit
Der Kanadier Douglas Coupland begann seine Karriere als Autor, der das Lebensgefühl junger Menschen auf den Punkt brachte. Seine frühen Bücher waren voller Verweise auf Popkultur, Schallplatten und Filme. Nach und nach wandte er sich aber von diesen Themen ab und neuen Obsessionen zu, die da heißen: Einsamkeit und der Wahnsinn innerhalb der Familie.
"Eleanor Rigby" kann man als die logische Fortsetzung früherer Coupland-Romane lesen. Wieder ist der Protagonist ein einsamer Mensch, der kaum noch Hoffnung hat, jemals mit anderen in Kontakt zu kommen.
Was ist einsamer? (...) Als Single einsam zu sein oder innerhalb einer kaputten Beziehung? Ist es nicht total erbärmlich, als einsamer Single jemanden zu beneiden, der in einer kaputten Beziehung einsam ist?
Am Ende doch noch glücklich
Der Tod, oder überhaupt gleich das Ende der Welt sind weitere große Themenkomplexe, an denen sich Coupland abarbeitet. In "Eleanor Rigby" ist das Ende stets zum Greifen nahe. Viel weiter kann man sich vom leichten, unbeschwerten Erzählduktus der so genannten Popliteratur kaum mehr entfernen.
In seinem neuen Roman präsentiert Coupland zwei Verlierer; zwei Ausgestoßene, die sich aneinander klammern und allen widrigen Umständen zum Trotz ihr Glück im jeweils anderen finden.
Nach der Arbeit saßen Jeremy und ich zu Hause und erzählten einander Geschichten von unserem Tag, während wir Nudeln mit Artischockenherzen aßen. Ich glaube, es war eine der glücklichsten Mahlzeiten meines Lebens. Selbst die profansten Kleinigkeiten - eine neue Tonerpatrone für den Kopierer, eine defekte Verkehrsampel am Marine Drive - schienen magisch und bedeutungsschwanger.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
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Kulturjournal, Donnerstag, 7. Dezember 2006, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 10. Dezember 2006, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Douglas Coupland, "Eleanor Rigby", aus dem Englischen übersetzt von Tina Hohl, Verlag Hoffmann und Campe, ISBN 3455400078