Streitfrage im Zypern-Konflikt ungeklärt
EU bremst vor Türkei-Beitritt
Nachdem auch die finnische EU-Präsidentschaft kein Einlenken der Türkei im Streit um die Zypern-Blockade erreichen konnte, hat die Kommission empfohlen, keine weiteren Verhandlungskapitel mit Ankara zu eröffnen und die Beitrittsgespräche quasi auf Eis zu legen.
8. April 2017, 21:58
EU-Kommissar Olli Rehn zur EU-Empfehlung
Im Zypern-Streit zwischen der Europäischen Union und der Türkei ist keine Einigung in Sicht. Im Gegenteil: Einen Tag nach der Empfehlung der EU-Kommission, mehrere Verhandlungskapitel einzufrieren, droht Zypern mit einer Verhandlungsblockade und wünscht sich ein noch eindeutigeres Vorgehen der EU gegen die Türkei. Auf Seiten Ankaras ist die EU-Empfehlung überhaupt inakzeptabel.
Halbherziges Bremsmanöver der EU
Völlig überraschend hat die EU-Kommission am Mittwoch, 29. November, den Handlungsablauf im Polit-Drama um die Türkei umgeschrieben und ihre Empfehlungen eine Woche früher als geplant veröffentlicht. Deren Inhalt: In den Verhandlungen mit der Türkei sollen acht Kapitel bis auf weiteres ausgeklammert werden, nämlich alll jene, die mit der Weigerung der Türkei zu tun haben, ihre Häfen und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge aus der Republik Zypern zu öffnen.
Betroffen davon wären etwa der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr, Landwirtschaft und Fischerei sowie die Außenbeziehungen. Bei anderen Kapiteln könnte zwar mit den Verhandlungen begonnen werden, abgeschlossen würden sie aber erst, wenn die Türkei Zypern anerkennt. Für viele ein halbherziges Bremsmanöver. Unzufrieden sind vor allem jene meist grundsätzlich Türkei skeptischen Stimmen, die den Abbruch der Verhandlungen gefordert hatten.
Türkei-Beitritts-Gegner vermissen klare Worte
EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn hat in seiner Pressekonferenz den Beleg dafür geliefert, dass die Empfehlungen der Kommission, so sie von den Mitgliedstaaten beschlossen und tatsächlich mit Leben erfüllt werden, die Verhandlungen paradoxerweise erst wieder in Gang bringen könnten. Denn - so Rehn - sei es bereits ein halbes Jahr her, dass die EU und die Türkei das bisher einzige von 35 Verhandlungskapiteln - nämlich jenes zu Wissenschaft und Forschung - abgeschlossen haben.
Für die Türkei-Beitritts-Gegner, vor allem aber für Zypern, entsteht durch die vorsichtige EU-Empfehlung jedenfalls der Eindruck, die EU wolle der Türkei Vorteile verschaffen, anstatt sie für ihre Unnachgiebigkeit in punkto Zypern zu bestrafen. Wenig überraschend haben daher die griechischen Zyprioten die Kommissions-Vorschläge bereits abgelehnt. So hat der griechisch-zypriotische Präsident Tassos Papadopoulos kritisiert, dass damit keinerlei Druck auf die Türkei ausgeübt würde, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
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EU-Empfehlung auch für Türkei inakzeptabel
Die Türkei hat die EU-Empfehlung in ersten Reaktionen ebenfalls abgelehnt: Inakzeptabel nannte sie Regierungschef Erdogan. Der EU-Beitritt werde sich wohl verzögern, so Erdogan, der die Reformen in seinem Land in jedem Fall fortsetzen will.
Dass nächstes Jahr in der Türkei Präsidenten- und Parlamentswahlen stattfinden, mache die derzeitige Situation um nichts leichter. Darin sind sich die Experten einig. Gerade in Vorwahlzeiten sei es für die türkische Regierung schwer, in der Zypern-Frage Zugeständnisse zu machen, weil man sich den Türken im Norden Zyperns verpflichtet fühle, meint auch Eberhard Rhein vom Brüsseler Zentrum für europäische Politik. Die Zypernfrage, sei wichtige Verhandlungsmasse, die die türkische Regierung zum jetzigen frühen Zeitpunkt noch nicht aus der Hand geben wolle.
EU in der Zwickmühle
Rein rechtlich ist die Sache klar. Will die Türkei mit der EU über einen Beitritt verhandeln, dann muss sie auch alle EU-Mitglieder anerkennen. Wenn die Türkei aber im Zypern-Konflikt nicht einlenkt, kann die griechisch-zypriotische Regierung künftig jedes neue Verhandlungskapitel zwischen der Türkei und der EU durch ein Veto blockieren. Dass auch in Zypern Anfang 2008 Präsidentenwahlen ins Haus stehen, mache die Sache nicht einfacher, so Türkei-Experte Eberhard Rhein.
Für die EU entsteht jedenfalls eine Zwickmühle, aus der die Kommission mit ihren Empfehlungen herauszukommen versucht. Die Türkei soll für ihre Unnachgiebigkeit in der Zypernfrage zwar bestraft, aber nicht zu sehr vergrault werden. Auf ein neues Ultimatum wird bewusst verzichtet.
Entscheidung vertagt
Politische Beobachter sehen jedenfalls kein gutes Vorzeichen für die Gespräche der EU-Außenminister, die sich am 11. Dezember mit der Angelegenheit befassen und eine Entscheidung treffen sollen. Neben der im Raum stehenden Drohung der Zypern-Blockade kommen nämlich auch noch gewaltige Differenzen zwischen den anderen Mitgliedsstaaten hinzu.
Wie in Brüssel zu hören war, wollte Großbritannien nur drei Verhandlungskapitel auf Eis legen, Frankreich dagegen die Hälfte aller 35 Kapitel. Mit ihrem Vorschlag liegt die EU-Kommission in der Mitte. Ob es so durchgeht, ist dennoch fraglich. Möglicherweise geschieht, was die finnische EU-Ratspräsidentschaft unbedingt verhindern wollte, und das Thema wird zur Chefsache am EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember. Das Polit-Drama EU - Türkei ist jedenfalls prolongiert. Fortsetzung folgt ...
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Wikipedia - Beitrittsverhandlungen EU - Türkei