Rudolf Nagiller war für UNICEF in Uganda
Aids in Afrika
40 Millionen Menschen sind weltweit mit dem HI-Virus infiziert, zwei Drittel davon im südlichen Afrika. Fast vergessen wurden jene, die keine Stimme haben: Aids-Waisen. UNICEF hat jetzt eine Kampagne für sie gestartet. Rudolf Nagiller hat dabei in Uganda recherchiert.
8. April 2017, 21:58
Sheila von UNICEF Uganda über ein traumatisches Erlebnis
Eine Million AIDS-Waisen - so weiß es das Kinderhilfswerk UNICEF - gibt es in Uganda: jedes zehnte Kind. In den Ländern weiter südlich sind es noch mehr: zig Millionen, niemand weiß es genau. Und es werden immer mehr, denn obwohl die Pharmakonzerne die Medikamente zur Bekämpfung des Virus für Afrika erheblich verbilligt haben, erreichen sie nur einen Bruchteil der AIDS-Kranken. Dies hat viele Gründe: Armut ist einer, Unwissenheit der Menschen ein anderer, überforderte Behandlungseinrichtungen ein dritter.
Und so sterben in Afrika jedes Jahr Millionen im besten Elternalter. Die hinterbliebenen Waisen sind zwar im Allgemeinen frei vom Virus, aber sie müssen ohne Eltern aufwachsen: bei Verwandten oder in Haushalten ganz ohne Erwachsene. Für diese (fast) vergessenen AIDS-Opfer hat UNICEF eine weltweite Kampagne gestartet.
Im tiefsten Afrika
Ein Beispiel: Der Kamwenge-Distrikt, 400 Kilometer westlich der ugandischen Hauptstadt Kampala, nicht weit von der Grenze zum Kongo. Er ist nach Größe und Menschenzahl mit Vorarlberg oder dem Burgenland vergleichbar, also 300.000 Einwohner. Aber davon sind unglaubliche 14.000 Waisenkinder. Mit Hilfe kleiner lokaler Unterstützervereine kümmert sich UNICEF um sie.
Diese Waisenhelfervereine erfüllen eine wichtige Aufgabe. Sie sind die Brücken von UNICEF zu den Kindern. Sie kennen die lokalen Verhältnisse und wissen, wer welche Hilfe am meisten braucht. Die Obfrau eines Waisenhelfervereins informiert, dass sie gemeinsam mit 20 Mitarbeitern für 100 Waisenhaushalte mit 700 Waisen zuständig sei: "Ohne die UNICEF-Leute wären wir aufgeschmissen. Mit ihrer Hilfe können wir an die Waisenhaushalte Ziegen und Schweine, Medikamente und Schulsachen weitergeben."
Das Ziegensparbuch eines Kinderhaushaltes
"Die Waisenhaushalte sollen so etwas wie eine kleine Zucht aufbauen können. Wenn sie dann für eine Anschaffung Geld brauchen, zum Beispiel für Schulkleidung, können sie ein Junges verkaufen, also sozusagen vom 'Ziegensparbuch' Geld abheben. Für eine Jungziege erlösen sie bis zu 15 Euro", erzählen Sheila und Douglas von UNICEF Uganda.
Gemeinsam mit Rudolf Nagiller besuchen sie die 17-jährige Mabel. Das Mächen führt als Älteste einen reinen Waisenhaushalt; sie sind zu dritt. Solche Kinderfamilien sind in Afrika, wo Millionen Mütter und Väter an AIDS zugrunde gehen, nichts Besonderes. Aber manchmal erleben auch Sheila und Douglas Zustände, die sie erschüttern. Bei der Weiterfahrt durch den Kamwenge-Distrikt erzählt Sheila von einem schlimmen Erlebnis mit einem siebenjährigen Buben, der gemeinsam mit seiner fünfjährigen Schwester in einer Lehmhütte hauste, umgeben von einem Acker so groß wie zwei Fußballfelder (siehe Audiofile).
Die Jungfräulichkeit für einen Kugelschreiber
Besonders gefährdet sind die Waisenmädchen. Männer, die schon etwas älter sind und daher das Wesen des Virus verstehen, wissen, dass Frauen in ihrem Alter mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit infiziert sind. Daher suchen sie sich junge Mädchen, die gerade in dem Alter sind, in dem Mädchen ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen.
Für die Mädchen ist das aber besonders gefährlich, weil diese Männer oft - ohne es zu wissen - selbst infiziert sind und dann die Mädchen anstecken. Aber wegen der drückenden Armut der Mädchen können diese Männer sie oft mit ganz simplen Geschenken verführen: Zum Beispiel mit einem Kugelschreiber ...
Besuch in einem Waisenzentrum
Eines von 20 Waisenzentren, die in diesem Distrikt von der UNICEF unterstützt werden, liegt in Kiyombya. Mehrere Erwachsene und dutzende Kinder und Jugendliche zeigen, wie sie ihr Leben meistern. Geschlafen wird in der Umgebung in den Kinderhaushalten oder bei Witwen. Die Kleinen sind während des Tages im Zentrum - einem lang gestreckten Lehmhaus, umgeben von dichtem Grün. Und die Jugendlichen kommen nach der Schule und lernen von den Erwachsenen Praktisches fürs Leben - etwa Schweine und Ziegen halten, Bananen und Maniokwurzeln anbauen, Lehmziegel formen und brennen, Möbel tischlern, Kleider nähen.
Die ugandischen UNICEF-Mitarbeiter erklären, wie Waisenzentren unterstützt werden: "Wir finanzieren den Start - Saatgut, Jungtiere, Werkzeuge, Nähmaschinen, Zubehör - und das Training der Helfer. Dann müssen sie mit Hilfe der Dorfgemeinschaft auf eigene Beine kommen. Unsere Starthilfe kostet für so ein kleines Zentrum im ersten Jahr 2.000 Euro, im zweiten etwas weniger, und dann brauchen sie uns nur noch gelegentlich.
Afrika ist keine Trauerwüste
Riesenprobleme sind hier zu "besichtigen". Und dennoch rückt so eine Fahrt auch europäische Vorurteile zurecht: die bei uns verbreitete Ansicht nämlich, Afrika sei so etwas wie eine einzige, elende Trauerwüste: "Oh, no", widerspricht Douglas von UNICEF Uganda, "das sind wir nicht. Gerade wir in Uganda haben ein herrliches und fruchtbares Land, Sonne und Regen, die Menschen sind eigentlich glücklich. Wir sind nur arm, und wir haben zwei große Feinde: den Untergrundkrieg im Norden mit vielen unschuldigen Opfern, gerade auch Kinder, und HIV/AIDS, weil diese Krankheit unser afrikanisches Zusammenleben zerrüttet und so viele Kinder zu Waisen macht.
Rudolf Nagiller - ehemaliger Hörfunk- und TV-Informations-Intendant des ORF - ist derzeit unte anderem Sonderbeauftragter des Kinderhilfswerks UNICEF für HIV/AIDS.
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Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 30. November 2006, 18:25 Uhr
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Links
UNICEF - Unite for Children - Unite against AIDS
Wikipedia - AIDS
UNICEF Austria
Aidshilfen Österreich
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