Grundlagen schaffen für Gesetze
EU-Forschungsinstitute
Systeme zur lückenlosen Überwachung von Tiertransporten, neue Richtlinien für die Verpackung von Babynahrung oder finanzierbarer Sonnenstrom - Themen, wie sie an den EU-Forschungsinstituten im italienischen Ispra bearbeitet werden.
8. April 2017, 21:58
Ispra - ein Ort und ein Forschungszentrum am Ostufer des Lago Maggiore. "Centro Comune di Ricerca" ist da auf einer Laufschrift zu lesen, auch "Joint Research Center" oder "Gemeinsame Forschungsstelle". Gemeint ist immer dasselbe: Die EU betreibt hier drei Institute: eines für den "Schutz und die Sicherheit" des Bürger, eines für "Umwelt und Nachhaltigkeit" und ein weiteres für "Gesundheit und Konsumentenschutz".
Warum sich die EU in Ispra - neben vier weiteren Standorten in Europa - eine eigene Wissenschaftlertruppe leistet, hat einen einfachen Grund. Jedes vierte Gesetz hat eine wissenschaftliche Basis. Und die soll möglichst unabhängig bewertet und für die EU-Gremien aufbereitet werden.
Beispiel Tiertransporte
Ab 2007 müssen in der EU Tiertransporte, die länger als acht Stunden dauern, ein Überwachungssystem an Bord haben. So soll es den Behörden leichter gemacht werden, einen Transport lückenlos zu verfolgen.
Die Verordnung sagt allerdings nicht im Detail, wie dieses Überwachungssystem aussehen muss. Die "Gemeinsame Forschungsstelle" hat deshalb ein System entwickelt.
Ein elektronischer Speicher am Tier-Transporter zeichnet via GPS-Empfänger ständig die Position des Fahrzeugs auf, darüber hinaus die Temperatur im Laderaum, aber auch, ob die Ladetüren offen oder geschlossen sind. Über das Mobilfunknetz können diese Daten stündlich an eine zentrale Stelle gefunkt und kontrolliert werden.
Innenraumschadstoffe
Mit unsichtbaren Schadstoffen beschäftigt sich Dimitris Kotzias in Ispra - und zwar mit Innenraumschadstoffen wie Benzol, Formaldehyd oder Stickoxid. Man weiß zwar von deren Existenz, aber wenig darüber, wie stark ihnen die europäischen Bürger ausgesetzt sind.
Einen Grenzwert gibt es derzeit nur für Benzol, und den auch nur für die Außenluft. Dimitris Kotzias hat deshalb im AIRMEX-Projekt quer durch Europa Benzol-Konzentrationen gemessen. Das Ergebnis: Die persönliche Exposition ist häufig weitaus stärker als die durchschnittlichen Schadstoffwerte in der Innen-Luft nahe legen, und zwar um bis zu 45 Prozent.
Außerdem liegen 30 Prozent der Benzol-Konzentrationen über den für die Außenluft geltenden Grenzwerten. Aller Voraussicht nach wird diese Messkampagne dazu führen, dass die Richtlinien für die Möbelproduktion oder die Erzeugung von Lacken verschärft werden.
Reaktions-Szenarien auf die Erderwärmung
Im "Institut für Umwelt und Nachhaltigkeit" in Ispra versucht man wissenschaftlich fundierte Reaktions-Szenarien auf die Erderwärmung zu entwickeln. Geleitet wird das Institut vom Österreicher und TU-Wien-Professor Manfred Grasserbauer.
Auch wenn es zwischen Wissenschaft und Politik immer Reibungsverluste gibt und manche Erkenntnisse schneller umgesetzt werden sollten, ist Grasserbauer überzeugt, "dass Europa sehr sehr viel in der Umweltgesetzgebung vorwärts gebracht hat."
Was uns ohne Änderung unserer Klimapolitik drohen könnte, modelliert in Ispra unter anderen Frank Raes. Momentan beschäftigt er sich vor allem mit der Fähigkeit von Bäumen und Pflanzen, das Treibhausgas Kohlendioxid aufzunehmen, in die Erde zu pumpen und dort zu speichern. In Europa schluckt die Vegetation rund zehn Prozent des Kohlendioxids aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe.
Bewahrt der Boden Kohlendioxid derzeit noch auf, könnte dieser Speicher bei einer weiteren Erderwärmung zum Treibhausgas-Lieferanten werden. Mehr Wald anzupflanzen, um noch mehr CO2 vom Aufstieg in die Atmosphäre abzuhalten, ist deshalb keine nachhaltige Option zur CO2-Reduktion. Schon im Sommer 2003 hat Raes in einem Versuchwald beobachtet, dass die Bäume - durch Stressfaktoren wie Hitze und Wassermangel - Kohlendioxid emittierten!
Lösungen aufzeichnen
"Was wir als EU-Forscher jetzt tun können, ist den Politikern in Brüssel Wege aufzuzeichnen, wie sie am besten und am billigsten Emissionen reduzieren können", meint Raes. "Zum Beispiel können wir sagen: Waldpflanzungen, um CO2 zu binden, sind gut, aber nicht die ultimative Lösung. Oder: Macht zuerst eine Direktive zur Windenergie, weil die am billigsten ist, und führt dann erst Solarenergie ein."
Oder, wie Heinz Ossenbrink, Referatsleiter im Bereich "Erneuerbare Energien", die Aufgabe der "Gemeinsamen Forschungsstelle" zusammenfasst: "Wenn Sie den gesamten Bereich der nachhaltigen Entwicklung betrachten, hängen politische Entscheidungen mehr und mehr von einer robusten wissenschaftlichen Grundlage ab."
Mehr zu alternativen Energien in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 27. November 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Links
Gemeinsame Forschungsstelle der EU
Institute for Environment and Sustainability
Institute for Health and Consumer Protection