Über Sehnsüchte und Fantasien des Individuums
Alfred Dorfer geht "fremd"
In seinem neuen Programm "fremd" balanciert der unverwechselbare Sprach- und Spielartist Alfred Dorfer zwischen Satire, Theater und schräger Philosophie. Entscheidet sich der Mensch für die Biografie, die er lebt, oder für die Biografen, die er leben möchte oder könnte?
8. April 2017, 21:58
Der Kabarettist blickt in die Vergangenheit
Wohin führt uns unser höchstpersönliches Lebens-GPS? Lassen sich Geschichten - von hinten nach vorne erzählt - besser verstehen? Was ist wichtiger - die Wirklichkeit oder deren Interpretation? Was bleibt von einem Menschen, wenn er nicht mehr ist? Und: Kommt man im Leben wirklich mit nur einer Biografie aus?
Ich spreche von meinen Problemen, und Sie bezahlen
Alfred Dorfer hat sich für sein Programm ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Er setzt den Menschen, das Individuum und dessen durchaus heterogenen Sehnsüchte und Fantasien in den Mittelpunkt einer Geschichte von Bildern und Trugbildern. Es wird konstruiert und dekonstruiert, verführt und aufgeklärt; es geht um die alten Griechen und die neuen Europäer, um die Wesenszüge bewegter, vertonter Bilder und eine mögliche Zukunft von Alfred Dorfer und seine musikalischen Weggefährten Günther Paal, Peter Herrmann und Lothar Scherpe als Buena Vista Comedy Club.
Alfred Dorfer spielt mit assoziativen Momenten ebenso wie mit der Tradition des Erzählers. Er spielt und interpretiert. Für den ersten Teil des Abends führt er die Zuschauer zurück in die Zeit seiner Kindheit, als der einzige Platz, der ihm ungestörtes Nachdenken ermöglichte, die Toilette war. Dort kam er zu dem Schluss, dass gleich mehrere Seelen in seinem damals noch jungen Körper wohnten:
"Es sind keine durchkonstruierten Biografien, sondern vier Sehnsüchte, die, wie ich glaube, in jedem Menschen schlummern. Das eine ist die Sehnsucht, sich in der Kreativität zu verwirklichen, zum Zweiten ist es das Zwischenmenschliche im weitesten Sinn - das heißt sich sozial einzubringen; drittens gibt es die rein rationale Ebene, wo man sagt, ich möchte das jetzt begreifen und durchschauen, ohne emotionale Wirrnisse, und das Vierte ist das Haptische, wo man sagt, man hätte das gerne, möchte es erobern, besitzen, will also Macht über Sachen haben."
Über Fremdbilder und fremde Deutungen
Alfred Dorfer zeichnet die vier unterschiedlichen Perspektiven seiner fiktiven Lebensbiografie mit eindrücklichen Bildern. Zwischendurch tauchen ganz pragmatische Fragen auf, wie: "... wenn man einen Zecken gegen den Uhrzeigersinn herausdreht, kann man dann in die Vergangenheit reisen? Am Ende seiner grundsätzlichen Überlegungen kommt der Kabarettist zu dem wenig überraschenden Ergebnis: Von allen möglichen Sehnsüchten und Möglichkeiten, sein Leben zu bestreiten, fiel die Wahl auf die Rolle des Witzeproduzenten. Und als Selbiger hat er einiges auf der Bühne zu bieten.
"Das Programm heißt deswegen 'fremd', weil es um Fremdbilder geht und um die Überflutung mit fremden Eindrücken und fremden Deutungen, wo man irgendwann nicht mehr unterscheiden kann, ob es Bilder sind, die ich mir selbst mache oder ob sie in mir gemacht werden und nur perfider Weise den Eindruck erwecken, als wären es meine eigenen. Das war der erste Zugang des Titels zum Inhalt. Ab dem Zeitpunkt, wo ich Neuland betrete oder - so wie mit diesem Stück - im Ausland Premiere gemacht habe, entsteht ein Gefühl von Fremdheit, und für mich ist Neues immer mit fremd verbunden.
Nichts ist so falsch, wie fast richtig
"fremd ist für Alfred Dorfer ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Programm. Erstmals in seiner Geschichte wählte der Kabarettist das Münchener Lustspielhaus als Premierenschauplatz. Gemeinsam mit seinen Musikern trat er den mehrheitlich mit hymnischen Kritiken bedachten Beweis an, dass Dorfers Art, die menschlichen Verirrungen und Verwirrungen zu porträtieren, auch jenseits der Grenzen Österreichs im positiven Sinn mehrheitsfähig ist. Günther Paal übernahm bewährt seine nicht mehr ganz neue Rolle als Universalgelehrter, der über Regelfälle, deren Ausnahmen und diverse andere recht unterschiedliche Wissensgebiete Auskunft geben kann.
Alfred Dorfer ist derzeit nicht nur als Kabarettist, sondern auch als Studierender unterwegs. Die Vollendung seiner Diplomarbeit über "Totalitarismus und Kabarett" steht in Aussicht - eine Arbeit, die für den Verfasser durchaus mit der Erarbeitung eines Kabarettprogramms zu vergleichen ist, ja sogar sehr hilfreich und inspirierend sein kann. Auf der Bühne und im Programm "fremd geht es diesmal auch in mehrfacher Hinsicht durchaus klassisch. Zum Beispiel, wenn Alfred Dorfer Richard III. gibt und interpretiert: "Es geht dabei um die Paraphrase. Wer Richard III. im Original kennt, wird Fetzen davon erkennen und plötzlich mit mir in ein anderes Stück wechseln und dann wieder zu Richard III. zurückkommen. Das ist für mich wieder ein Gleichnis dafür, dass nichts so falsch ist, wie fast richtig ...
Die Bilder, die wir schufen
Den zweiten Teil des Abends widmet Alfred Dorfer den Bildern - ihren Klängen, ihrer Intensität, ihrer Wirkung auf den Betrachter, auf die Zuschauerinnen. "Wie gehen wir mit der Macht der Bilder um", fragt der Kabarettist und findet Antworten in ganz bemerkenswerten Einsichten.
"'fremd' funktioniert frei nach Nestroy", hat Alfred Dorfer in einem Interview über sein neuestes Programm gesagt. Es gibt ein bestehendes Stück, das gleich bleibt und den Rahmen bildet. Zusätzlich bieten Dorfer und seine Musiker jede Menge Improvisationen, tagesaktuelle Themen, die zum Stück passen, assoziative Versatzstücke, die dem Programm trotz inhaltlich anspruchsvoller Kost eine bemerkenswerte Leichtigkeit verleihen. Es ist eine Reise durch das Leben eines mit verschiedenen Visionen ausgestatteten Menschen. Gleichzeitig wird auf eindrucksvolle Weise unter Beweis gestellt, wie sehr uns die Bilder bestimmen, die andere für uns schufen.
Mit "fremd ist Alfred Dorfer eine kabarettistische Sonderleistung geglückt - ein Programm voll Intensität und künstlerischer Ausdruckskraft, bei dem nicht nur sehr ungewöhnliche Brückenschläge bravourös gemeistert werden, sondern auch ganz gewöhnliche Fragen Beantwortung finden. Zum Beispiel, warum man seine Fluglinie besser nicht Ikarus nennt und - warum man letztendlich gar nichts mehr sieht, wenn man sich zu viel vorstellt.
Eine Veranstaltung live aus aus dem Posthof in Linz mit Unterstützung von Wien Energie
Hör-Tipp
Kabarett direkt, Freitag, 24. November 2006, 20:00 Uhr
Veranstaltungs-Tipp
Alfred Dorfer, "fremd", Freitag, 24. November 2006, Linzer Posthof, Posthofstraße 43, Beginn: 20: Uhr.
Links
Alfred Dorfer
Posthof
e&a Public Relations
kabarett.at
kabarett.cc