Joseph Stiglitz, Wirtschaftswissenschaftler

Popstar der Ökonomie

Joseph Stiglitz verfasst hoch komplexe wissenschaftliche Schriften, kann aber mit seinen globalisierungskritischen Bestsellern und Artikeln auch bei einem größeren Publikum das Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen wecken.

Er ist bekannt als der Saulus, der zum Paulus wurde, weil er als ehemaliger Chefökonom der Weltbank Bücher über die dunklen Seiten der Globalisierung schrieb. Und da er sich als Galionsfigur der Globalisierungskritiker nicht wohl fühlte, folgte dem 2003 erschienenen Buch "Schatten der Globalisierung" 2007 "Chancen der Globalisierung".

Auch den "Roaring Nineties", also den stürmischen 1990er Jahren, in denen er einer der Wirtschaftsberater Bill Clintons war, widmete Joseph Stiglitz ein Buch. Den Boom der 1990er Jahre beschreibt er als klassische Blase, "das heißt, dass sich die Preise von Vermögensgegenständen völlig von ihrem eigentlichen Wert gelöst hatten, wie dies im Kapitalismus seit Jahrhunderten immer wieder geschieht".

Asymetrische Wissensaufteilung

Joseph Stiglitz ist der Popstar unter den Ökonomen. Oder haben Sie etwa schon von George Akerlof oder Michael Spence gehört? Na eben. Die beiden Herren haben übrigens im Jahr 2001 gemeinsam mit Joseph Stiglitz den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Analyse von Märkten mit asymmetrischer Information erhalten. Diese ergab, auf eine einfache Formel gebracht: Wissen ist Macht.

Wenn einer mehr Wissen hat als andere, herrscht Asymmetrie. Etwa beim Kauf eines Gebrauchtwagens. Käuferinnen oder Käufer wissen nicht, welche Macken ein Auto hat. Die Verkaufenden wissen immer mehr als die Kaufenden. Der Gebrauchtwagenkauf ist ein relativ harmloses Beispiel.

Besonders krass ist die Informationsasymmetrie zwischen Erster und Dritter Welt. Internationale Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds vertreten die Interessen der USA und Europas. Diese Organisationen wissen meist viel mehr über die Folgen von Deregulierungen und Privatisierungen Bescheid. Wenn nun Entwicklungshilfegelder an bestimmte Konditionen gebunden sind, wie Deregulierung und Privatisierung, wie das Öffnen der Handelsbarrieren und den Stopp von staatlicher Unterstützung für gewisse Wirtschaftssektoren, besteht dort dann auch eine asymmetrische Informationslage? Darüber hat Joseph Stiglitz viel geschrieben: über die falsche Politik der internationalen Organisationen und über die Rolle des Staates.

Dissertation zu Einkommen und Vermögen

Der 1942 geborene Sohn eines Versicherungsvertreters und einer Lehrerin wächst in Gary, Indiana, auf. Er studiert ein Jahr Mathematik und wechselt dann an das Massachusetts Institute of Technology in Boston, um Ökonomie zu studieren. Dort wird er von Nobelpreisträgern wie Robert Solow und dem ebenfalls aus Gary, Indiana, stammenden Paul Samuelson unterrichtet.

Während Joseph Stiglitz studiert, kracht der wichtigste Wirtschaftssektor in seiner Heimatstadt: die Stahlindustrie. Die Folgen sind Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität und ein blühender Drogenmarkt. 1965 schließt er seine Dissertation über ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen ab.

Alternativen zum BIP gesucht

Heute verbringt Joseph Stiglitz kaum mehr als vier Monate im Jahr an seinem Wohnort New York. Wenn er nicht im Flieger sitzt, telefoniert er, schreibt oder korrigiert die Arbeiten seiner Studentinnen und Studenten.

Joseph Stiglitz reist von einer Tagung zur nächsten und von einem Staatschef zum anderen, um zu beraten, um Vorträge zu halten, um Arbeitsgruppen zu leiten, wie die von Nikolas Sarkozy beauftragte "Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress", bei der auch der Soziologe Robert Putnam und der Entwicklungsökonom und ebenfalls Nobelpreisträger Amartya Sen mit an Bord sind. Es sollen Alternativen zur Messgröße Bruttoinlandsprodukt (BIP) erarbeitet werden. Das BIP sei nicht besonders gut geeignet, die wirtschaftliche Leistung und den sozialen Fortschritt eines Landes zu messen, meint Joseph Stiglitz.

Das Gesundheitssystem der USA sei etwa ineffizient. Die hohen Kosten tragen aber zu einem hohen BIP bei. Die USA sollten aber nicht mit einem hohen BIP belohnt werden - im Gegenteil sollten die USA aufgrund der geringen Leistung des Gesundheitssystems niedrig bewertet werden.

Die Folgen des Irak-Krieges

Stiglitz' jüngstes Buch handelt vom Irak-Krieg, dessen Kosten er bei 2,1 Billionen Euro (drei Billionen Dollar) ansetzt. Niemand habe sich überlegt, was passieren würde, wenn der Krieg nicht nach sechs Wochen gewonnen ist. Nun dauert er schon bald sechs Jahre lang. Normalerweise teilt ein Land das Leid eines Kriegs auf: Die jungen Männer (und in den USA auch die jungen Frauen) ziehen an die Front, und die anderen zahlen mehr Steuern.

In diesem Fall wurden während des Krieges die Steuern in den USA gesenkt. Und nun leiden nicht nur die körperlich und psychisch schwer beeinträchtigten US-Soldatinnen und -Soldaten, sondern auch der gesamte Irak. Sogar die aktuelle Finanzkrise sei eine der Folgen des Einmarschs. Man hätte das Geld besser in den USA investieren sollen, dann wären die Folgen der geplatzten Immobilienblase nicht ganz so dramatisch gewesen.

Krisen sind "spannend"

Wenn Joseph Stiglitz über die aktuelle Krise spricht, huscht ihm ab und zu ein Grinsen über das Gesicht: "Krisen sind unheimlich spannend. Da ist viel mehr los. Da wollen plötzlich alle die Finanzmärkte verstehen, und das Interesse für andere Denkweisen als den Marktliberalismus ist viel größer."

Bei Vorträgen vor europäischen Bankerinnen und Bankern bedankt er sich dafür, dass sie so nett waren, die faulen amerikanischen gebündelten Kredite zu kaufen. Sonst wäre die Krise in den USA geblieben, so sei das Risiko nun gestreut.

Aber ganz im Ernst macht diese Krise Joseph Stiglitz nervös. Es ist die erste Krise, die in den USA, dem Land mit der Weltwährung, ausbricht. Und es sieht so aus, als würde die Rezession fünf, sechs Jahre anhalten, meint er. Mindestens.

Buch-Tipps
Joseph Stiglitz, "Die Schatten der Globalisierung", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Thorsten Schmidt, Goldmann Verlag

Joseph Stiglitz, "Die Chancen der Globalisierung", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Thorsten Schmidt, Siedler-Verlag

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Joseph Stiglitz, "Die wahren Kosten des Krieges. Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Thorsten Schmidt, Pantheon Verlag

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