Schwungvolles Plädoyer für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung
Die Chancen der Globalisierung
Um sein neues Buch zu präsentieren war Joseph Stiglitz dieser Tage in Wien. Der Wirtschaftsnobelpreisträger widmet sich darin nach den Schattenseiten nun den Chancen der Globalisierung - nicht ohne ein kritisches Gegenprogramm zum Neoliberalismus zu entwerfen.
8. April 2017, 21:58
Kritiker der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung feiern Joseph Stiglitz als "Good guy" unter den Nationalökonomen. In seinem neuen Buch zieht der Nobelpreisträger eine kritische Bilanz des bisherigen Globalisierungs-Prozesses: Auch wenn China und Indien zu den Profiteuren der internationalen Wirtschaftsvernetzung zählen mögen, grundsätzlich sind die Reichen reicher geworden, die Armen in der Regel arm geblieben. Das hängt mit der strukturellen Ungerechtigkeit der Welthandels- und Weltfinanzordnung zusammen. In ihr fließt Stiglitz zufolge das Geld unvermeidlich von unten nach oben, von Arm zu Reich. Es gilt das Motto: "Wer hat, dem wird gegeben".
Das neoliberale Credo, nur ein schwacher Staat sei ein guter Staat, ist nach Meinung des ehemaligen Clinton-Beraters falsifiziert. Stiglitz schreibt:
Eine der Grundentscheidungen, die alle Gesellschaften treffen müssen, betrifft die Rolle des Staates im Wirtschaftsleben. Ökonomischer Erfolg setzt voraus, dass zwischen Staat und Markt ein angemessenes Gleichgewicht hergestellt wird.
Dieses Gleichgewicht ist in vielen Ländern ins Wanken geraten. Interessanterweise sind in den 1990er Jahren gerade jene Staaten ökonomisch ins Hintertreffen geraten, die die deregulierenden Vorgaben des "Internationalen Währungsfonds" eins zu eins umgesetzt haben, darunter viele Staaten Lateinamerikas. Länder wie China dagegen, die sich um die Empfehlungen des IWF einen Deut geschert haben, sind wirtschaftlich auf der Überholspur.
Joseph Stiglitz' Buch ist nicht nur eine Kampfansage an die Dogmatiker der reinen neoliberalen Lehre, es lässt sich vor allem als Plädoyer für einen differenzierten Blick auf die Phänomene der Weltwirtschaft lesen:
Es gibt nicht nur eine Form von Kapitalismus, nicht nur ein "richtiges" wirtschaftliches Rahmenmodell. So existieren andere Formen der Marktwirtschaft als das angloamerikanische Modell, etwa die schwedische Variante, die anhaltendes und robustes Wachstum erzeugt hat, mit einem besseren Gesundheits- und Bildungssystem und weniger Ungleichheit als in anderen Ländern. Auch wenn das schwedische System in anderen Ländern nicht so gut funktioniert oder für bestimmte Entwicklungsländer ungeeignet sein mag, beweist sein Erfolg, dass alternative Formen erfolgreicher Marktwirtschaften bestehen können.
Auch das in manchen Volkswirtschafterkreisen immer noch recht beliebte Keynes-Bashing goutiert Stiglitz nicht. Ganz im Gegenteil:
Keynes tat mehr zur Rettung des kapitalistischen Systems als all die marktgläubigen Finanzkapitalisten zusammengenommen. Wäre man während der Weltwirtschaftskrise der späten 20er und frühen 30er Jahre dem Rat der Konservativen gefolgt, dann wäre die "Große Depression" noch schlimmer verlaufen; sie hätte länger gedauert und hätte tiefer gereicht.
Die Konservativen der 1920er und 1930er Jahre wollten staatliche Programme drastisch beschneiden, mit dem auch heute nicht ganz unbekannten Argument, staatliche Eingriffe seien grundsätzlich von Übel, der Abbau von Haushaltsdefiziten müsse höchste Priorität genießen.
Und heute? Der Prozess der weltweiten wirtschaftlichen Vernetzung ist unaufhaltsam, diagnostiziert Joseph Stiglitz. Ergo: Der 63-Jährige sucht keine Alternativen zur, sondern Alternativen innerhalb der Globalisierung. Stiglitz' Motto: Eine andere Globalisierung ist möglich.
Wie lauten nun die wirtschaftspolitischen Rezepte des New Yorker Ökonomie-Professors? Wenn es nach Stiglitz geht, sollten die Wohlstandsländer den ärmeren Ländern ihre Märkte öffnen, ohne von ihnen im Gegenzug das Gleiche zu verlangen. Grenzüberschreitende Kapitalströme möchte der New Yorker Nationalökonom ebenso besteuern wie Waffenverkäufe an Entwicklungsländer, um öffentliche Infrastrukturen in Afrika, Lateinamerika und Teilen Asiens zu finanzieren. Sammelklagen armer Länder sollten erleichtert werden, außerdem müsse die Stimmrechtsverteilung in Weltbank und "Internationalem Währungsfond" reformiert werden, das Vetorecht der USA gehöre eingeschränkt.
In diesem Buch spiegelt sich mein Glaube an demokratische Prozesse wider: meine Überzeugung, dass aufgeklärte, informierte Bürger einen gewissen Schutz davor bieten, dass einseitige, beschränkte Unternehmens- und Finanzinteressen ihre Machtstellung auch in Zukunft missbrauchen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die gewöhnlichen Bürger der Industrie- und Entwicklungsländer ein gemeinsames Interesse daran haben, die Globalisierung zu einer Erfolgsgeschichte für alle zu machen.
Man sieht: Joseph Stiglitz malt die Zukunft keineswegs in düsteren Farben.
Wir können die Globalisierung zu einer Erfolgsgeschichte machen, nicht nur für die Reichen und Mächtigen, sondern für alle Menschen, auch diejenigen in der ärmsten Ländern. Die Aufgabe wird langwierig und beschwerlich sein. Wir haben bereits zu lange gewartet. Wir müssen sie in Angriff nehmen. Jetzt.
Joseph Stiglitz hat ein schwungvolles Plädoyer für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung vorgelegt. Dass der 63-Jährige in seinem Buch einen ur-amerikanischen Geschichts-Optimismus an den Tag legt, macht ihn zu einer erfrischenden Erscheinung im raunz- und quengelfreudigen Europa.
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Buch-Tipp
Joseph Stiglitz, "Die Chancen der Globalisierung", aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt, Siedler-Verlag