Netrebko als Nachtwandlerin Amina

8. April 2017, 21:58

Endlich ereignete sich am Ende des Karnevals, was alle erwartet hatten: Vincenzo Bellinis "La Sonnambula". Trotz der Neider machte die Oper einen tiefen Eindruck; im zweiten Akt weinten selbst die Sänger und trugen ihre Zuhörer mit sich, so dass während der lustigen Karnevalszeit dauernd in den Logen und im Parkett Tränen getrocknet werden mussten.

In seinen Memoiren schrieb Michail Glinka, der "Vater der russischen Oper" diese Zeilen; er war Anfang der 1830er Jahre durch Italien gereist und hatte die Uraufführung von "La Sonnambula" im März 1831 in Mailand miterlebt.

Ländlich idyllischer Stoff

Zuerst hatte Vincenzo Bellini mit seinem Librettisten Felice Romani an eine Vertonung von Victor Hugos heroischem "Hernani" gedacht, letztendlich wählte man aber ein Sujet ganz anderen Charakters, einen ländlich idyllischen Stoff. Romani griff auf das Szenarium zum Ballett "La Somnambule" des Theaterdichters Eugène Scribe und des Choreografen Jean-Pierre Aumer zurück, das 1827 der Komponist Ferdinand Hérold für eine dreiaktige Ballettpantomine verwendet hatte.

Die Thematik des Schlafwandelns war schon vor Bellinis Oper ein beliebtes Bühnensujet gewesen: 1797 hatte Luigi Piccinni, Sohn von Niccoló Piccinni, eine Opera buffa "La Sonnambula" verfasst, ebenso 1800 Ferdinando Paer ein Werk gleichen Titels.

Uraufführung war Triumph

Der Tag der Uraufführung stellte für Bellini einen Triumph sondergleichen dar; keines seiner sonstigen Werke wurde mit derart uneingeschränkter Begeisterung, sogar von seinen Kollegen aufgenommen. "La Sonnambula" prägte in besonderem Maß Bellinis Bild für die Nachwelt, das Bild des ätherisch elegischen Tonschöpfers, das des empfindsamen Lyrikers; dabei stellt diese Oper eher ein pastorales Intermezzo dar, umgeben von Kompositionen, die von heroischer Geste und dramatischer Attitüde geprägt sind.

An der Wiener Staatsoper bringt Regisseur und Ausstatter Marco Arturo Marelli keine ländliche Idylle auf die Bühne. "Den Ort der Handlung, die Schweizer Alpen", so Marelli im Programmheft, "haben wir beibehalten, doch die Story in eine Art Hotel oder besser Sanatorium verlegt. Ein Ort, wie er von Thomas Mann im 'Zauberberg' beschrieben worden ist: Dort herrscht ein anderer Zeitbegriff, man lebt in seinen Gefühlen. In dieser dünnen Luft, wo die Zeit stillzustehen scheint (wie manchmal auch in Bellinis Musik) bevölkern äußerst seltsame Menschen die Szene, weit ab vom Getriebe der Welt: 'Menschen im Hotel', Müßiggänger, Kranke, Weltflüchtende, und das einfache Personal des Hauses."

Netrebko als Amina

Inmitten all dieser Personen steht die nachtwandelnde Amina, eine zerbrechliche, zart besaitete junge Frau, von Bellini mit herrlichen elegischen Phrasen, aber auch höchst virtuosen Arien bedacht.

An der Wiener Staatsoper wird diese Partie erstmals von Anna Netrebko verkörpert, die damit nach ihren Wiener Auftritten in Partien von Verdi, Mozart, Donizetti und Gounod zum ersten Mal in einer der großen Bravourpartien des Belcantofachs zu erleben sein wird. Sie wird dabei gleichsam auf den Spuren großer Vorgängerinnen "nachtwandeln": in Wien Stefania Bonfadelli und Natalie Dessay, international Edita Gruberova, Joan Sutherland, Renata Scotto, Anna Moffo und Maria Callas.