Unterschiede zwischen Heil und Heilung
Macht Religion gesund?
Die Menschen suchen nach Heil und nach Heilung. Für Ersteres fühlt sich meist die Religion zuständig, für Letzteres die Medizin. Die Trennung trifft etwa bei der Betrachtung der Wellness-Kultur mit den Versatzstücken aus diversen Religionen aber nur bedingt zu.
8. April 2017, 21:58
Moraltheologe Walter Schaupp über Heilserwartungen
Wer Wellness-Hotels besucht, wird rasch auf unterschiedlichstes religiöses Brauchtum stoßen wie etwa Wasserrituale oder Räucherstäbchen. Derartige Inszenierungen verteuern den Aufenthalt im Kurhotel zumeist, und sie versprechen mehr, als sie halten können. Denn Religion könnte gesund machen, das ist die Hoffnung, die viele haben. Doch macht Religion wirklich gesund?
Religion, Medizin und Wellness
Was die Gesundheit anlangt, hegen viele Theologen Zweifel an der Theorie, dass Religion gesund macht. So auch der Grazer Moraltheologe und frühere Arzt Walter Schaupp. Er meint, ein allumfassendes Heil- und Gesundsein, wie das etwa die Gesundheitsdefinition der WHO fordert, sei aus der Sicht der Theologie ein Problem.
Einen Mix aus Religion und Medizin sieht man in der heutigen Wellness-Kultur, in der sich Versatzstücke aus diversen Religionen und traditionellen Medizin-Systemen mit modernen Fitness-Techniken mischen. Wellness sei keine neue Erfindung, sagt Peter Trummer, Professor für Neues Testament in Graz: "König Herodes versuchte z. B. mit Badeaufenthalten seine Krankheit in den Griff zu bekommen. Und in den Heiligtümern des Asklepios begaben sich Menschen in einen Heilschlaf und versuchten auf verschiedene Weise, Heilung zu erlangen. Und genau wie heute hatte das Wohlergehen auch seinen Preis. Wer das Honorar nicht zahlte, hatte allerdings nicht nur Ärger mit der Bäder- und Tempelverwaltung, sondern auch mit den Göttern, die ohne Bezahlung die Anliegen der Bittsteller nicht erfüllten."
Der Therapeut als Diener
In der griechischen und hebräischen Welt ist Krankheit - modern ausgedrückt - ein Prozess, der von vielen Faktoren beeinflusst ist und in dem das Befinden des Menschen das Entscheidende ist. Modern ausgedrückt könnte man da vielleicht von Psychosomatik sprechen.
Wenn Jesus im Neuen Testament heilt, dann bezieht er sich auf diese Gesamtbefindlichkeit. Er ist ein Therapeut, der Krankheiten heilt und Dämonen vertreibt: "Das griechische Wort therapeuein bedeutet nicht nur heilen, sondern auch dienen," sagt Peter Trummer. Sogar die Teilnahme am Gottesdienst könne ein therapeuein sein: "Wenn Jesus im Neuen Testament heilt, dann wird immer auch die ganze Umwelt mit einbezogen. Das wird bei den Kinderheilungen sehr deutlich. Denn meistens sind es die Eltern, denen Jesus etwas mitteilt - und dann heißt es, 'und zur selben Stunde wurde das Kind gesund'."
"Mach meine Seele gesund"
Heilung geschieht, wenn sich das System ändert, würde man modern sagen. Das gilt etwa auch für den Knecht des römischen Hauptmanns, der zu Jesus kommt und bittet: "Herr, ich bin nicht würdig, dass Du unter mein Dach, in mein Haus kommst, aber mach meinen Knecht gesund." Und in derselben Stunde wurde der Knecht gesund, heißt es im Matthäus-Evangelium.
Die Geschichte ist in den katholischen Messkanon eingegangen: Vor jeder Messe beten die Menschen vor der Kommunion mit den Worten des Hauptmanns: "Herr ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund."
Krank machende Religion
Religion macht aber nicht nur gesund, sondern auch krank. Vor allem dann, wenn die Vertreter dieser Religion Macht ausüben - zum Beispiel im katholischen Österreich - da hat der vor einigen Jahren verstorbene Arzt und Psychiater Erwin Ringel in seinen Büchern das krank machende Potenzial des Christentums deutlich dargestellt.
Ein drastisches Beispiel für die krank machende Wirkung von Religion ist die so genannte "grisi siknes", die Menschen in Nicaragua befällt. Die "grisi siknes ist das Ergebnis von schwerer kollektiver Traumatisierung durch die christlichen Kolonisatoren.
Zwischen Religion und Volksglauben
So wie heute die Theologen dem Wellness-Treiben oft kritisch gegenüberstehen, gab es auch in der Antike einen Konflikt zwischen christlichen Theologen und christlichem Volksglauben. So war der Glaube an Geister sehr verbreitet, auch unter Christen, die unter anderem Amulette verwendeten, um Krankheit auf magischem Wege zu heilen - sehr zum Missfallen der Theologen. Der bedeutende englische Historiker Peter Brown z. B. führt den Aufstieg des Christentums unter anderem darauf zurück, dass es die Menschen der Spätantike von ihrem Dämonenglauben befreite.
"Im Unterschied zur Zeit der europäischen Eroberungen in Übersee bestand im antiken Christentum ein enger Zusammenhang von Heil und Heilung", erzählt die Grazer Theologin Livia Neureiter: "In der antiken Kirche vertraute man zwar auch auf Heilungswunder, doch antiken christlichen Berichten zufolge befassten sich große Gruppen mit der Standardmedizin der Zeit, mit der galenischen Medizin." Apostel Paulus sagt etwa, der Körper ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Dem entsprechend steht die Pflege des Körpers und die Medizin bei den Christen der Spätantike hoch im Kurs. Ab dem 4. Jahrhundert gab es christliche Krankenhäuser, an denen vor allem auch Arme gepflegt und medizinisch versorgt wurden.
Antike Seelenärzte als Maxime
Vor allem in der östlichen Hälfte des Imperium Romanum in Kleinasien hatte man in der Spätantike einen hohen medizinischen Standard erreicht. Antike Ärzte hatten ein hohes Berufsethos, das für das Selbstverständnis christlicher Seelsorger zum Maßstab wurde: "Sie sollten Seelenärzte sein", erzählt Livia Neureiter.
Auch für die modernen medizinische Techniken und Mittel, die das geistig-seelische Potenzial des Menschen verändern können, gilt die Maxime der antiken Ärzte: Genau auf die Person und auf Umstände zu achten, wenn es um die Anwendung medizinischer Mittel geht.
Angenommen, die Medizin könnte alle individuellen Leiden lindern, zumindest bei jenen, die es sich leisten können: Wären diese Menschen glücklich? Vermutlich nicht alle, denn Menschen sind mit Empathie begabt - der Fähigkeit, mitzuleiden mit anderen.
Hör-Tipp
Logos, Samstag, 11. November 2006, 19:05 Uhr
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religion.ORF.at