Technologie- und Bildungsoffensive unumgänglich?
Wirtschaftspolitik jenseits von Ideologien
Sozialdemokratisch gefärbte Politik hat zu hohen Staatsschulden geführt. Die Wende waren neoliberale Konzepte. Sie haben den Staat zurückgedrängt, allerdings eine hohe Arbeitslosigkeit in Kauf genommen. Wie wird die Wirtschaft der Zukunft aussehen?
8. April 2017, 21:58
Wifo-Chef Karl Aiginger über Keynesianismus
Die Wirtschaft erholt sich. Aber ist dies ein Verdienst der Politik oder kommt das von selbst? Hat die Politik überhaupt Spielraum? Und wenn ja - nach welchen Grundsätzen soll Wirtschaftspolitik betrieben werden? Mehr privat - weniger Staat, wie das die abtretende Regierung propagiert hat? Ist das neoliberale Experiment gescheitert, wie das die hohe Arbeitslosigkeit in Europa nahelegt? Soll der Staat wieder mehr für Wachstum und Beschäftigung sorgen oder kann der Staat nicht mehr?
Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes Karl Aiginger fordert eine öffentlich finanzierte Technologie- und Bildungsoffensive, verbunden mit Wettbewerb und Deregulierung.
Die Grundsätze des Keynesianismus
Jahrzehnte lang habe der so genannte Keynesianismus - benannt nach dem britischen Nationalökonomen John Maynard Keynes - die Wirtschaftspolitik in Europa bestimmt, meint Karl Aiginger in seiner Antrittsvorlesung als Gastprofessor an der WU und nennt die drei wichtigsten Grundsätze hiefür:
"Ungleichgewichte etwa zwischen Löhnen und Preisen werden vom Markt allein zu langsam ausgeglichen. Die Ursache von Problemen liegt auf der Nachfrageseite, bei geringem privatem Konsum und bei nur zögerlichen Investitionen. Und: Der Grad der Arbeitslosigkeit wird nicht von der Flexibilität am Arbeitsmarkt bestimmt, sondern von der allgemeinen Nachfrage, also vom Wirtschaftswachstum."
Bei Krisen in der Privatwirtschaft greife der Staat mit Wirtschaftsprogrammen ein, durch höhere Budgetausgaben, so der Wirtschaftsexperte. Vor allem die sozialdemokratische Gesellschaftspolitik sehe sich durch den Keynesianismus bestätigt.
Aigingers Schlussfolgerungen
"Der Keynesianismus gehört zu den erfolgreichsten wirtschaftspolitischen Modellen der letzten Jahrzehnte. Einer Wirtschaftskrise konnte relativ schnell begegnet werden. In der Anfangsphase konnte mit einem Schilling an öffentlichen Investitionen der vierfache Effekt für die Volkswirtschaft erzielt werden - durch Folgeaufträge, mehr Einkommen und mehr Konsum. Dieser Multiplikatoreffekt war eine der attraktivsten Eigenschaften des Keynesianismus. Er hat aber im Laufe der Zeit immer mehr an Wirksamkeit eingebüßt. Gescheitert ist er vor allem an der Disziplinlosigkeit der Regierungen: In der Krise zu investieren, das haben alle gemacht, aber keiner hat in der Hochkonjunktur die Schulden wieder abgebaut. Und so ist die öffentliche Verschuldung an die Grenzen der Finanzierbarkeit geraten."
Außerdem würden - so der Wifo-Chef - öffentliche Investitionsprogramme nur kurzfristig wirken. Ein Jahr sei dabei kein Problem, aber eine Rezession von fünf Jahren könne mit Steuergeldern nicht mehr bewältigt werden. Und schließlich sei der Keyensianismus Opfer des EU-Binnenmarktes geworden. Denn zuletzt sei jeder staatlich investierte Euro - oder damals noch Schilling - zu einem Gutteil in Importe geflossen, und das sei sicher nicht das Ziel gewesen.
Der Neo-Liberalismus
Die Gegenbewegung - der Neo-Liberalismus der 1990er Jahre - sei von den USA ausgegangen, von Großbritannien imitiert worden und dann vom europäischen Kontinent unter dem Diktat der leeren Staatskassen teilweise übernommen worden, sagt Karl Aiginger. Er tut sich dabei schwer, einen bestimmten Vertreter des Neoliberalismus oder des Monetarismus dingfest zu machen, an dem sich die Politik der folgenden Jahre orientiert hätte. Am ehesten ist für ihn die so genannte Chicago-Schule ein Vorbild - mit der weitgehenden Ablehnung staatlicher Eingriffe ins Wirtschaftsleben: "Eine hohe Arbeitslosigkeit wird dabei in Kauf genommen - mit dem Argument, der Staat könne ohnehin nichts ausrichten, am besten regulieren sich die Märkte selbst, und da gehört auch der Arbeitsmarkt dazu", so Aiginger.
Trotzdem ist nach den Worten des Wifo-Chefs in Europa eine echte neoliberale Wende kaum festzustellen, die Staatsquote hoch geblieben, allerdings nicht weiter gestiegen, Budgetdefizite sind gesunken, die gesamte Staatsverschuldung aber nicht. Deutliche Spuren gebe es bei der Privatisierung von staatlichen Unternehmen, deutlich gestiegen seien auch die Unternehmensgewinne, wenn auch von niedrigem Niveau aus.
Neue Rezepte
Hauptkritikpunkt Aigingers an beiden Modellen ist, dass sie kein Rezept für ein langjähriges kräftiges Wachstum haben. Deregulierung und Liberalisierung allein, wie von den Neoliberalen gefordert, reicht bei weitem nicht. Wobei der Wifo-Chef weit davon entfernt ist, Deregulierung und Liberalisierung zu verdammen. Sie sind nach seinen Worten eine wichtige Voraussetzung für Dynamik in der Wirtschaft.
Jene Dynamik ortet Aiginger derzeit wieder in den USA und nennt auch die Ursachen, warum die dortige Wirtschaft sich so nach vorn katapultiert hat: "Das waren - trotz geplatzter Internetblase - die Informationstechnologie und die Biotechnologie. Aber Europa kann so was auch, und zwar im Zusammenwirken von Deregulierung, Wettbewerb und staatlichen Bildungs- und Investitionsprogrammen. Das Ziel: Ein starkes Wachstum auf einige Jahre hinaus." Diese Theorie stammt übrigens vom Ökonomen Philippe Aghion, einem Franzosen mit Lehrauftrag in Harvard.
Europäisches Vorbild
Nur die Kombination verschiedener wirtschaftspolitischer Methoden führe zu mehr Wachstum, meint Karl Aiginger und hat dabei schon ein Vorbild in Europa parat:
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Saldo, Freitag, 10. November 2006, 9:45 Uhr
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