Eine Rundreise ins Armenhaus Äthiopien

Ferne Nachbarhilfe

Seit 1993 ist die österreichische Entwicklungszusammenarbeit in Äthiopien aktiv. Eine Reise zu den wichtigsten Projekten zeigt, wie viel Hilfsprojekte bewirken können, aber auch wie schwer es ist, sie zu verwirklichen.

Stimmen zum Problem der weiblichen Beschneidung

Seit 1993 ist Äthiopien ein Schwerpunktland der OEZA, der Österreichischen Entwicklungs- und Ost-Zusammenarbeit. Mit viereinhalb Millionen Euro steht es an vierter Stelle in der Liste der geförderten Länder. Die Kooperation konzentriert sich auf die Bereiche Ernährungssicherheit, Gesundheit und Energie. Weitere Schwerpunkte betreffen Frauenförderung, Demokratisierung, Bildung und Wissenschaft.

Wie viel österreichische Aktivitäten in diesem Armenhaus bewirken können, aber auch wie schwer es manchmal ist, sie zu verwirklichen, hat unlängst eine von der österreichischen Entwicklungsagentur ADA initiierte Rundreise mit Journalisten zu den wichtigsten von Österreich unterstützten Projekten gezeigt.

Ein Krankenhaus ohne Patienten

In einem kleinen Charterflugzeug mit sieben Passagieren steuert Kapitän Salomon von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba aus Richtung Süden. Für die etwa 500 Kilometer braucht er zwei Stunden. Auf der einzigen in der Regenzeit befahrbaren Straße geht es dann im Konvoi mit fünf Geländewagen weiter nach Filto, wo ein Gesundheitsprojekt in einem Krankenhaus betrieben wird. Doch es scheint nicht in Betrieb zu sein, denn weit und breit sind keine Menschen zu sehen.

Erst nach einiger Zeit taucht ein Mann auf. Er ist Arzt - der einzige hier seit acht Monaten. Patienten gebe es derzeit nicht, sagt er, denn es sei Ramadan, und ein Moslem, der die Fastengebote einhalte, lasse sich während dieser Zeit bei Tageslicht nicht ärztlich behandeln. 20 Betten gebe es, aber keinen Strom, klagt er: "Es hört sich unglaublich an, aber ich sage Ihnen die Wahrheit. Ich kann nicht behaupten, dass wir hier als Spital funktionieren. Von den regionalen Behörden hat uns noch nie jemand besucht.“

Im Trainingsraum dieses Spitals wird dann abends den Dorfbewohnern ein Aufklärungsfilm über FGM, Female Genital Mutilation, also weibliche Geschlechtsverstümmelung gezeigt - einer der Schwerpunkte der Aufklärungskampagne in der Somali-Region gegen die verschiedenen Arten der Beschneidung. Die Frauenbeauftragte des Bezirks Filtu, Kamila Osman, erklärt dazu, die Leute hätten immer geglaubt, FGM würde zur Religion gehören und sei eine Maßnahme zur Verhinderung der Prostitution. Dies sei jetzt besser geworden. Aber dennoch würden trotz Strafandrohung nach Gesetzesänderung noch immer ein Drittel der äthiopischen Frauen diese Praktiken durchführen.

Grundversorgung über Tiere

Die FGM-Kampagne ist aber nur ein kleiner Teil des Gesundheitsprojektes, das die ADA, die österreichische Entwicklungsagentur, gemeinsam mit einer italienischen NGO in den Bezirken Filtu und Dollo durchführt. Fast drei Viertel der etwas mehr als 300.000 Einwohner dieser Bezirke sind Nomaden oder Hirten, die zeitweise mit ihren Herden unterwegs sind. Diese Menschen mit medizinischer Grundversorgung zu erreichen, ist nicht einfach. Oft geht der Weg über ihre Tiere. Denn die Kamele, Rinder, Ziegen und Schafe sind ihr Kapital, das ihr Überleben sichert. Deshalb kommen sie eher zur Gesundheitsstation, wenn ein Tier krank ist als ein Mensch.

Die Gesundheitsstationen, auf denen es Medikamente gibt und wo Mensch und Tier geimpft werden, sind über die ganze Gegend verstreut: 19 im Bezirk Filtu, neun im angrenzenden Bezirk Dollo, der bis zu den Grenzflüssen zu Kenia und Somalia reicht und wirklich als eine Art Ende der Welt angesehen werden kann. Die Stützpunkte sind natürlich nicht dauernd besetzt. Es sind mobile Dienste für mobile Menschen, die meist einmal im Monat angeboten werden, es sei denn die Regenzeit macht sie unerreichbar.

Weitere Outreach-Activities

Neben diesen Outreach-Stützpunkten führt die Reise auch in das nordische Bergland in die alte Hauptstadt Gondar. Obwohl Äthiopiens höchster Berg, der Ras Dashen mit 4.620 Metern, schon sehr nahe scheint, sind überall Grünflächen zu sehen. Und wären da nicht die feuerroten Flamboyans, würde einen die Almwirtschaft nicht überraschen. Aber genau darum geht es im integrierten Viehzuchtprojekt, das hier seit 1998 läuft und demnächst - ohne ausländische Hilfe - den Einheimischen übergeben werden soll. Ziel dieses Projekts ist die Sicherung der Ernährungsbasis für die Bevölkerung. Diesem Ziel dienen hier vorher unbekannte Zuchtmethoden, Futtermittelanbau, um die Trockenzeit zu überstehen, Molkereien und andere Vermarktungshilfen.

Projektkoordinator Zewdu Wultaw strahlt in überraschend aussagekräftiger Managersprache Zuversicht aus: "Diese Kooperative arbeitet erst seit eineinhalb Jahren. In dieser kurzen Zeit hat sie schon etwas Kapital akkumuliert und einen großen Expansionsplan ausgearbeitet. Da geht es um ungefähr 2.500 Rinder. Und das wird auch funktionieren. Für diesen Mann, der hier arbeitet, hat sich das Leben total verändert. Ich kenne ihn schon lange. Vor acht Jahren hatte er überhaupt nichts. Jetzt denkt er schon daran, ein Auto zu kaufen; und den anderen 112 Mitgliedern dieser Kooperative geht es ähnlich.“

Das Ökotourismusprojekt im Nationalpark

Nächste Station auf dem Weg hinauf in die Berge des Simen-Mountains-Nationalparks ist eine Molkerei, die ihren Betrieb gerade erst aufnimmt. Hier werden von acht Arbeitskräften täglich 1.500 Liter Milch pasteurisiert, in Plastiksäcke abgefüllt und gekühlt. Die frische Milch bringen die Kinder auf dem Weg zur Schule vorbei. Die Milch schmeckt vorzüglich, die Molkerei sieht total hygienisch aus. Der Molkereichef macht einen rundum zufriedenen Eindruck. Auch dieser Betrieb ist eine Kooperative.

Der Simen-Mountains-Nationalpark - von der UNESCO zum Welterbe erklärt - ist 232 Quadratkilometer groß. Hier darf nur kampiert werden. ,Vor zehn Jahren hat Österreich hier ein Ökotourismus-Projekt gestartet, das mehrfach adaptiert worden ist. Jetzt wird vermehrt die Bevölkerung miteinbezogen. Die Bauern nehmen am Ernährungssicherungsprogramm teil und können damit einen Ausgleich für die Anbau- und Weideflächen erwirtschaften, die sie zugunsten des Nationalparks nicht mehr nutzen dürfen.

Das Waisenhaus in Addis Abeba

Wieder in Addis Abeba angelangt, geht es zu einem weiteren von Österreich unterstützten Projekt außerhalb der Hauptstadt. In einer sichtlich guten Wohngegend liegt inmitten eines von hohen Mauern umgebenen Parks eine ehemalige Wochenendresidenz von Kaiser Haile Selassie. Dort betreiben 105 christlich-othodoxe Nonnen ein Waisenhaus mit 250 Kindern zwischen drei und 20 Jahren, bewirtschaften 28 Hektar Land und führen eine Schneiderei, eine Weberei und eine Bäckerei. Sie dürften wenig Zeit für ihre Buchhaltung haben und gar keine für eine Powerpoint-Präsentation:

Bei uns gibt es viel Arbeit, in anderen Klöstern viel Gebet", beschreibt Schwester Görgis ihren Orden. Dazu lacht sie und zeigt 50 Jahre alte Singer-Nähmaschinen her. Eine elektrische Nähmaschine, einige mechanische Webstühle und ein moderner elektrischer Backhofen wurde von der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit finanziert: alles Geräte, mit denen nicht nur für den Eigenbedarf produziert wird. Dies kann leider auch manchmal dazu führen, dass bestellte Ware nicht abgeholt wird. Dennoch: die Fröhlichkeit die hier bei den Kindern und Nonnen herrscht, ist ansteckend. Sie lässt uns Journalisten aber nicht vergessen machen, wie dringend weitere Hilfe notwendig ist.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 9. Oktober 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Links
Außenministerium - OEZA
ADA - Austrian Development Agency
Wikipedia - Äthiopien