Jeder Ort hat seinen eigenen Dialekt

Sprachen im Fluss

Vor einigen Jahrzehnten traf die Behauptung "jeder Ort hat seinen eigenen Dialekt" noch zu. Inzwischen ist die Sprache großräumiger und einheitlicher geworden. Aus Grunddialekten wurden Regionalmundarten.

Die Sprache ist großräumiger und einheitlicher geworden, aus Grunddialekten wurden Regionalmundarten. Eine Ausnahme dieses Trends beobachten Sprachwissenschaftler von der Universität Passau an der bayrisch-thüringischen Grenze.

Die Grenzziehung zwischen der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland und der DDR hatte zur Folge, dass sich die Sprecher nicht mehr austauschen konnten und sich die Dialekte den jeweiligen Sprachformen des Hinterlandes anglichen bzw. auf beiden Seiten der Grenze unterschiedlich stark ausprägten. So finden sich heute in der Region dialektale Merkmale, die sichtbar machen, dass sich eine neue Sprachgrenze entwickelt hat.

Vom Elfenbeinturm in die Wohnzimmer

Jahrzehnte lang suchten Forscher nach alten Sprechern, um aussterbende Dialekte zu dokumentieren und zu rekonstruieren.

Ein Anliegen der neuen Generation von Sprachforschern ist es, die sprachliche Wirklichkeit einzufangen. Der Linguist Norbert Richard Wolf von der Universität Würzburg: "Dialekt-CDs gehören zu den Verkaufsschlagern in den jeweiligen Regionen".

Zur Zeit arbeitet er etwa am "Sprachatlas Unterfranken" und untersucht in einem weiteren Projekt das Sprachverhalten junger Menschen der Region. Auch William Keel vom Institut für deutsche Sprache und Literatur der University of Kansas möchte mit den Dialektproben die sprachliche Vielfalt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen: "Wir arbeiten nicht für uns. Den Nachkommen der deutschen Einwanderer ist heute durchaus bewusst, dass mit dem Verlust ihrer Sprache ihre Kulturwelt zu Ende geht."

Forschung im 21. Jahrhundert

Im 21. Jahrhundert sind Soziolinguistik und Neue Medien selbstverständlicher Bestandteil der Dialektologie. Mitarbeiter des Institutes für Germanistik an der Universität Freiburg arbeiten momentan an dem "Atlasprojekt zur deutschen Alltagssprache", das den Dialektwandel in Südwestdeutschland beschreibt. Mit Hilfe neuester Technik hat das Wissenschaftler-Team bisher unberücksichtigte mündliche Dialektdaten in eine Datenbank eingespeist.

Auch von technologischer Seite gibt es inzwischen Interesse am Dialekt. Die Spracherkennung spielt heute bei Telefon- oder Auskunftssystemen eine wichtige Rolle. Diese sind mündlich basiert und sollen auch Menschen verstehen können, die kein lupenreines Standarddeutsch sprechen. Die Programmierer dieser Systeme arbeiten mit Linguisten wie Stephan Elspaß von der Universität Augsburg oder Robert Möller von der Universität Liège zusammen.

Die beiden Sprachwissenschaftler beschäftigen sich mit dem Wandel der gegenwärtigen Alltagssprache und erstellen Dialektkarten mit Hilfe von Personen, die sie willkürlich aus E-Mail-Verzeichnissen heraussuchen. Diese Internet-Umfrage entwickelte sich überraschend erfolgreich: Innerhalb von drei Tagen kamen 800 Antworten zurück. Seitdem trudeln immer wieder Rückmeldungen ein. Ein Ergebnis, das aus dem "Atlas zur deutschen Alltagssprache" ersichtlich wird: In vielen Gegenden, in denen der alte Grunddialekt aufgegeben wurde, finden sich in Standard- und Umgangssprache nach wie vor zahlreiche regionale Merkmale.