Kluge und Horváth
Magazin des Glücks
Der Kulturphilosoph Franz Schuh, bekannt dafür, seine Gedanken in pointierter Form zum Ausdruck zu bringen, feiert am 15. März 2007 seinen 60. Geburtstag. Im Rahmen der Sendung "Ex libris" gestaltet er die monatliche Glosse "Das Magazin des Glücks".
8. April 2017, 21:58
"Magazin des Glücks", das ist ein gestohlener Titel, und ich schwöre, ich hätte ihn nicht gestohlen, wäre er nicht schon so oft von anderen gestohlen worden. Der geistige Diebstahl als Gewohnheitsrecht, und ich gebe weiters zu, dass die Wahl des Titels "Magazin des Glücks" in meinem Fall auch aus Ressentiment erfolgt, oder ins Positive gewendet: aus Protest. Ich protestiere ein wenig, also klein laut, gegen die auch nicht allzu laut vor sich gegangene Veranstaltung "Magazin des Glücks" bei den Salzburger Festspielen 2006. Nein, nein - was da Alexander Kluge als Veranstaltungsleiter unter diesem Titel "Magazin des Glücks" zusammengebracht hatte, das war schon großartig: ein intellektueller Zirkus, ein Zirkus von und mit Intellektuellen.
Allein, diese Großartigkeit auf der Grundlage des gestohlenen Titels war erkauft, erkauft mit der Fälschung des Sinnes von "Magazin des Glücks" - "Magazin des Glücks", so hieß ursprünglich ein Fragment von Ödön von Horváth aus dem Jahre 1932; ein Fragment für einen Revue-Film, und in einem der Berichte aus Salzburg war von einem obskuren Ödön-von-Horváth-Fragment die Rede, so als ob erst Kluge mit seinem Salzburger Programm das Obskure von Horváth in einen Gebrauchswert verwandelt hatte.
Kluges Arbeitsprinzip, so hieß es betont werkstättentauglich, sei die Zerreißprobe: Kluge schöpfe ein obskures Ödon-von-Horváth-Fragment von 1932 - eben "jenes Magazin des Glücks" - aus dem Depot unabgegoltener Möglichkeiten: Was wäre gewesen, wenn Horváth tatsächlich mit Max Reinhardt und Zarah Leander einen Revue-Film gedreht hätte, kurz vor Machtergreifung der Nazis? "Die Verhandlungen im Grunewald liefen ja im Dezember '32 bereits auf Hochtouren."
Man sieht, was Kluge aus dem Horváth-Fragment gemacht hat: einen echten Kluge. Das Depot unabgegoltener Möglichkeiten ist Kluges Element, und ein bisschen verkörpert er damit das Katholischwerden, das Frommwerden der Kritischen Theorie. Ihrer frommen Fassung geht weniger nahe, wo der Teufel sitzt, ob nun im Detail oder im Großen und Ganzen.
Fromm geworden ist die Kritische Theorie damit befasst, wo der Teufel seine Lücke hinterlassen hat, wo man also rauskommt aus Systemzwang und Verblendung. Rettung droht von überall - so lese ich Kluges Evangelium. Auch gut - nur: "Magazin des Glücks" hat bei Horváth einen anderen, einen unverzichtbaren Sinn; Das Revue-Fragment ist eine höllische Satire auf Systemzwang und Verblendung, nämlich darauf, dass Gesellschaften wie die unsere mit größten Anstrengungen bis zur Selbstüberforderung und Selbstverblödung Illusionen von Glück erzeugen; fast jeder weiß, es sind nur Illusionen, aber man wird mit ihnen beliefert - in der heutigen Demokratie fast frei Haus, durch Film, Funk und Fernsehen, aber es gibt natürlich auch Glücksbereiche, in die kommt man bloß mit viel Geld hinein.
Horváths "Magazin des Glücks" ist eine in einem Haus untergebrachte Einrichtung, wo zahlende Gäste - zu einer Zeit, in der das Glück schwer zu finden ist - ihm begegnen können. Es gibt in dem Magazin vielerlei Zimmer, in denen das Glück wartet: zum Beispiel in Form von Kulissen fremder Länder, und am Ende gibt es sogar das Paradies. Das "Magazin des Glücks" ist die Umkehrung einer Geisterbahn, in der man den Schrecken genießt. Hier nur Gutes - draußen aber (und unter den Angestellten der Glücksbranche) ist der Schrecken Alltag.
Horváths Satire gilt den begütigenden Seiten der Kulturindustrie. Im Glücksmagazin werden die Besucher in einem Dressing-Room für die glücklichen Stunden vorbereitet: "Die zahlreichen Angestellten dieser Abteilung erfrischen die Besucher mit optimistischen Gesprächen und als Psychoanalytiker nehmen sie ihnen die Sorgen für ein paar Stunden ab und machen ihnen Mut und Hoffnung." Trost und Rat, und ganz wichtig ist es, dass einen das Glück nicht unvorbereitet trifft; sonst fällt man vor Glück in Ohnmacht oder wird vielleicht sogar unglücklich.
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