Durch Klimawandel zur Flucht gezwungen

Paradiese in Gefahr

Der Meeresspiegel steigt, Dörfer werden überschwemmt, Süßwasserquellen versalzen: Der Klimawandel ist für tief liegende Atolle wie z. B. Vanuatu, Tuvalu oder Kiribati eine existenzielle Bedrohung. So musste bereits ein ganzes Dorf umsiedeln.

Steve Koletti und Heike Schröder zur Rechtsproblematik

Die Folgen des Klimawandels nehmen immer dramatischere Ausmaße an. Viele Südsee-Nationen sind in ihrer Existenz bedroht. Durch den steigenden Meeresspiegel werden ganze Küstenstreifen überschwemmt, Süßwasserquellen versalzen, Korallen sterben und die Vegetation verändert sich.

Auf den kleinen Inseln und Atollen wie etwa in Vanuatu, Tuvalu, Niue, Kiribati, den Malediven oder den Marshall Inseln mussten bereits ganze Dörfer in höhere Regionen verlegt werden. Manche Atolle werden durch die ständigen Überschwemmungen in etwa 30 Jahren unbewohnbar und in 50 Jahren zur Gänze von der Bildfläche verschwunden sein.

Dem Untergang geweiht

Dem Dorf Lateu auf der Südseeinsel Vanuatu im abgelegenen Tegua-Atoll steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Lateu ist vermutlich das erste Dorf in der Südsee, das wegen des Klimawandels umziehen muss. Überall liegen umgestürzte Kokospalmen, ihr Wurzelwerk vom Meerwasser umspült. Viele haben das Salzwasser nicht überlebt.

Dorfchef Reuben Seluin bestätigt den steten Anstieg des Meeresspiegels: "Seit dem Erdbeben auf der Nachbarinsel im Jahr 1997 ist das Salzwasser immer näher gekommen. Jedes Jahres, ja jeden Monat eigentlich, bei Vollmond und Neumond, wenn die Flut besonders hoch ist, kommt die See ein gutes Stück näher."

Zur Umsiedlung gezwungen

Insgesamt wohnen 46 Leute einer einzigen Großfamilie in diesem Dorf. Einige windschiefe, vom Schimmel angefaulte Schilfhütten stehen noch direkt am Meer. Lateus Frauen waschen ihre Wäsche in einer kleinen Lache mit Süßwasser, die sich bei Ebbe am Ufer sammelt. Außer einem kleinen Regenwassertank war sie lange die einzige Quelle für Trinkwasser auf der Insel. Nun ist die Quelle jedoch nicht mehr wichtig, denn die Bewohner haben wegen der häufigen Überflutungen beschlossen, ihr Dorf einige hundert Meter ins Innere der Insel zu verlegen.

Im neuen Dorf wurden mit kanadischer Hilfe sechs Regenwassertanks aufgestellt. Titus Woilami, der Schwager des Dorfchefs, ist froh, dass er nicht mehr direkt am Meer leben muss: "Vor allem bei Neu- und Vollmond war Lateu immer bedroht. Dann herrscht hier fast immer starker Wind. Und wenn das Salzwasser ins Dorf läuft oder der Regen dort steht, dann hast du immer Angst, dass es ins Haus kommt. Oft kannst du dann nicht schlafen, weil du dir andauernd den Kopf zerbrichst, ob es nun wieder passiert."

Das Meer steigt weiter

Dass der Pazifik einige Meter ins Land vordringt, kann man inzwischen an den Küsten vieler Südsee-Nationen beobachten. In einem von Australien finanzierten Projekt haben Wissenschaftler seit Ende 1992 in der Südsee einen jährlichen Anstieg des Meeresspiegels von durchschnittlich sechs Millimetern gemessen.

Die Voraussagen für die kommenden Jahre seien aber noch viel dramatischer, betont der Ozeanologe Steve Koletti: "Es gibt Anzeichen, dass sich der Anstieg beschleunigt. Bis 2050 wird eine Erhöhung von einem halben bis zu einem ganzen Meter erwartet. Bis 2100 sagen viele Wissenschaftler einen Anstieg von einem bis drei Meter voraus". Die ausgewaschenen Palmenstrände allein - so Koletti - seien dabei jedoch noch kein Beweis für Schäden, die auf den angestiegenen Meeresspiegel zurückzuführen sind. Dass sich die Strände nicht mehr regenieren, allerdings schon.

Unwetter durch Temperaturanstieg

Auch die Zahl der Taifune sei drastisch angestiegen, behauptet der Leiter des Meteorologischen Institutes von Port Vila, Jotham Napat. Ursache dafür sei die Erwärmung der Meeresoberfläche: "Von 1941 bis 1946 hatten wir jährlich fünf Taifune; heute ist ihre Zahl auf fast 20 gestiegen. Neuseeländische Wissenschaftler haben jüngst für die gesamte Region des südwestlichen Pazifiks neun Taifune für dieses Jahr vorhergesagt. Wir hatten allerdings heuer bereits 15."

Die Erwärmung der Erdatmosphäre und damit der Meere hat aber auch das Korallensterben beschleunigt. Korallen sind in Symbiose mit Algen nur im Temperaturbereich von 20 Grad bis 35 Grad Celsius lebensfähig. Der Sprecher vom Landwirtschaftsministerium in Vanuatu, Jason Raubani: "In Vanuatu gab es eines der größten Korallensterben. An der Westküste unserer Hauptinsel Efate zum Beispiel haben wir alle Korallen verloren."

Klimaflüchtlinge drohen mit Klagen

Auch in Tuvalu - einer Zwergnation mit einer Gesamtfläche von 37 Quadratkilomtern in der Nähe der Fidschi-Inseln - werden erste Anstrengungen für ein Umsiedlungsprogramm unternommen. Die dortige Regierung hat für ihre etwa 12.000 Einwohner bereits um Asyl in Neuseeland und Australien angesucht. Australien hat abgelehnt, Neuseeland ist immerhin bereit, jährlich 75 Tuvalesen aufzunehmen. Wer die Umzüge allerdings bezahlen soll, ist nicht geklärt, weil es noch keine völkerrechtliche Regelung für Klimaflüchtlinge gibt.

Seit 2002 hat Tuvalu auch mehrmals angedroht, die USA und Australien - die beiden einzigen Nationen, die das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert haben, - zu verklagen. Bisher jedoch ohne Erfolg. Auch das Nachbarland Kiribati will sich möglicherweise der Klage anschließen. Experten sagen allerdings, dass es bei der Androhung der Klage bleiben wird, denn bisher gebe es keine rechtliche Grundlage hiefür.

Appell an westliche Nationen

Aufgrund der abweisenden Haltung Australiens und der USA appelliert Russel Nari, der Abteilungsleiter für Klimaschutz in Vanuatus Umweltministerium, an die anderen westlichen Nationen, den betroffenen Inselstaaten zu helfen. Nari kritisiert vor allem amerikanische Wissenschaftler, die den Klimawandel einfach ignorieren: "Ich denke, es ist nicht fair, dass große Nationen, die die Ressourcen und das Geld haben, weiterhin behaupten, es gebe keinen Klimawandel."

Der Handlungsspielraum und das politische Gewicht der Südsee-Nationen in der Welt sei jedoch nicht groß, meint Klimarechtsexpertin Heike Schröder von der Universität im kalifornischen Santa Barbara. Obwohl insgesamt 40 Länder in der Südsee, der Karibik, aus Asien und Europa die Vereinigung AOSIS gründeten, waren bisher ihre Verhandlungen zur Emissionsreduzierung im Rahmen der G 77, der Lobbygruppe der Entwicklungsländer, vergeblich.

Wir werden bleiben

Für kleine Länder wie dem Inselstaat Vanuatu mit seinen 207.000 Einwohnern stellen die Folgen des Klimawandels jedenfalls eine enorme Herausforderung dar. Vanuatu besteht aus 83 Inseln, von denen nur 68 bewohnt sind. Die Regierung hat aber nur einen Etat von 80 Millionen Euro zur Verfügung.

Trotz der geringen finanziellen Mittel und der vielen Unannehmlichkeiten, die das Leben auf so abgelegenen Inseln mit sich bringt, hätten die Bewohner aber noch nie einen Gedanken darauf verschwendet, ihre Inseln zu verlassen, betont Reuben Seluin vom Dorf Lateu: "Wir lieben unsere Insel. Wir haben unsere Gärten, wir haben die Fische im Meer. Wir haben Krabben zum Essen. Deshalb gefällt es uns hier; und da ist es auch egal, dass wir kein Boot haben und kein Radio, und dass wir nicht reisen können. Deshalb werden wir auf jeden Fall hier bleiben."

Mehr zum Klimawandel in science.ORF.at

Links
Greenpeace - Klimawandel
Wikipedia - Vanuatu
Wikipedia - Tuvalu

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